; / * j^ A ■»
•^.'.fi^': ;>•*.*• •>5^i«» ^' ": V />;
,;:.Miiw,tv7.<^w^^%
.'■•>v'*»-. V V^ ", *
^ ^•^^,
y- -v*'
Thibüut, Georjo Frederick ..illit:n
/istroiioLÜe, ..strologie unr| i'^atheiiiatik
^'
T4
n
I
GRUNDRISS DER INDO -ARISCHEN PHILOLOGIE UND ALTERTUMSKUNDE
(ENCYCLOPEDIA OF INDO -ARYAN RESEARCH) BEGRÜNDET VON G. BÜHLER, FORTGESETZT VON F. KIELHORN.
III. BAND, 9. HEFT.
ASTRONOMIE, ASTROLOGIE UND MATHEMATIK
VON
G. THIBAUT.
EINLEITUNG.
IS I. Die Astronomie und Mathematik der Inder, besonders die erstere, . haben verhältnismässig frühe die Aufmerksamkeit der europäischen Gelehrten auf sich gezogen. Schon gegen Ende des 17. Jahrhunderts machte G. D. Cassini die Regeln der siamesischen Astronomie, welche durchaus auf indischen Lehren beruhen, zum Gegenstand einer Untersuchung; und ein 1773 veröffentlichtes Memoire Le Gentils — welcher Gelegenheit gehabt hatte, sich in Pondicheri mit den astronomischen Methoden der Brahmanen bekannt zu machen — [ enthält schon eine ziemlich ausführliche Darstellung der Hauptpunkte des ' indischen Systems. Die Astronomie der Inder wurde auf diese Weise dem Westen früher bekannt als irgend ein anderer Zweig der indischen Litteratur I und Wissenschaft. Eine auf bedeutend breiterer Grundlage beruhende Dar- stellung des indischen Systems wurde 1787 von J. S. Bailly gegeben in seinem umfangreichen »Traite de l'Astronomie Indienne et Orientale«; und mit diesem j bedeutenden Werke beginnen zugleich die L^ntersuchungen über den Ursprung 1 und die Geschichte der indischen Astronomie. Die Thatsache, dass man im [fernen Osten bei einem Volke, dessen Ideen, Kenntnisse und Institutionen in "keiner Beziehung auf westlichen Einfluss hinzuweisen schienen, ein System der lAstronomie antraf, welches zwar der entwickelten modernen europäischen Astronomie sehr bedeutend nachstand, aber immerhin es möglich machte, die 'wahren Örter von Sonne, Mond und Planeten vorauszubestimmen und Mond- und sogar Sonnenfinsternisse mit leidUcher Genauigkeit zu berechnen, konnte natürlich nicht verfehlen, das Interesse von Astronomen sowohl als Altertums- iforschern in hohem Grade zu erwecken und zu Speculationen zu ihrer Er- klärung anzuregen. Bailly selbst gab für das indische System ein enormes Alter zu und bemühte sich nachzuweisen, dass die Abweichungen der indischen Bestimmungen von den modernen europäischen daraus zu erklären wären, dass die indischen Werte wirkliche Verhältnisse darstellten, die vor vielen Jahr- itausenden stattgehabt hätten. Diese Theorie fand jedoch wenig Beifall und wurde, von 1799 an, mit besonderer Schärfe von J. Bentley bekämpft, dessen An- sichten in seinem 1825 veröffentlichten »Historical View of the Hindoo Astronomy« eine abschliessende Darstellung fanden. Während Bentley in seiner Opposition gegen Baillys phantastische Hypothese unzweifelhaft Recht latte, ging er andrerseits viel zu weit in seinen Versuchen, das indische astro- nomische System als eine Fabrikation ganz später Zeit darzustellen. Im Vertrauen auf eine einseitig mathematisch-astronomische Methode das Alter istronomischer Werke aus ihren Angaben über die mittleren Bewegungen ier Himmelskörper zu bestimmen, unterliess er es ganz, historisch-litte-
Indo-arisclie Philologie. III, 9. 1
^9iT5
BSyJtELiGiON, weltl.Wiss£nsch. u. Kunst. 9. Astronomie u. s.w., Mathematik.
j^aJH^'chen Erwägungen ihr Recht zu geben; und in Folge davon entbehren ^'die von ihm aufgestellten Perioden der indischen Astronomie in iiirer Weise ebenso sehr der Begründung als Baillys Constructionen.
Mittlerweile war die Kenntniss des Systems durch verschiedene in Indien arbeitende englische Gelehrte ungemein vertieft und erweitert w^orden. Es sind hier zu nennen S. Davis, dessen i. J. 1789 veröffentlichte Abhandlung »On the astronomical computations of the Hindoos« eine vortreffliche Dar- stellung der Lehren des Sürya-Siddhänta gab, und vor allem H. Colebrooke, der erste Forscher auf diesem Gebiet, der mit competenter Kenntniss der Astronomie und Mathematik gründliche Sanskritgelehrsamkeit vereinigte. Seine verschiedenen Abhandlungen über indische Astronomie, die auf umfassendem Quellenstudium beruhen und sich durch grosse Besonnenheit des Urteils auszeichnen, sind noch heute von hohem Wert; und sein Werk über die Arithmetik und Algebra der Hindus hat diesen Zweig des Wissens im Wesent- lichen abschliessend dargestellt. Zu nennen ist ferner das 1825 erschienene Werk J. Warrens — Kälasamkalita betitelt — welches eine Fülle von Be- lehrung über kalendarische und chronologische, und überhaupt astronomische, Berechnungen enthält, besonders nach den südindischen Methoden. Eine 1827 in Madras veröffentlichte Abhandlung von C. M. Whish ist die erste Arbeit, die sich ausführlicher auf den vermutlichen Einfluss der griechischen Astronomie und Astrologie auf Indien einlässt.
Durch die genannten Arbeiten war die europäische Gelehrsamkeit mit den wesentlichen Zügen derjenigen Stufe der indischen Astronomie bekannt geworden, welche durch den Sürya-Siddhänta und ähnliche Werke repräsentirt wird. Bedeutend vervollständigt wurde diese Kenntniss erst durch einige viel später erschienene Arbeiten, worunter zu nennen sind Hoisingtons Oriental Astronomer (Jaffna 1849), die Übersetzung eines Teiles von Bhäskara's Siddhänta-Siromani durch L. Wilkinson und Bäpudeva Sästrin (1861) und vor allem Burgess- Whitneys Übersetzung des Sürya-Siddhänta (1858). Das grundlegende Werk des indischen Systems wurde hier zum ersten Male in vollständiger, genauer Übersetzung mitgeteilt, und zugleich alle darin ange- wandten Methoden eingehender und schärfer erklärt und kritisirt als je zuvor. Ein sorgfältiges Studium dieses Werkes bildet die unerlässliche Einleitung für Jeden, der sich gründlich mit indischer Astronomie bekannt zu machen wünscht.
In der Zwischenzeit war das Studium der indischen Litteratur und aller damit verknüpften Fragen im Allgemeinen ungemein fortgeschritten, und die so erlangte bessere Einsicht in die Stufen indischer Geistesentwicklung fing selbstverständlich an, auch auf die Behandlung astronomischer Fragen einzu- wirken. Die Erörterung historisch interessanter Punkte trat in deia Vorder- grund, als i. J. 1840 J. B. Biot die These aufstellte, dass das schon von Colebrooke erörterte System der Naksatras, d. i. der 27 oder 28 Constella- tionen oder Abschnitte, in welche die Inder von Alters her die Sphäre ein- teilten, aus China entlehnt sei; es gab dies Anlass zu einer langen, von vielen bedeutenden Gelehrten weitergeführten Controverse, in welcher die Ergebnisse des neuen Vedastudiums zur Beurteilung astronomisch-chronologischer Fragen ausgiebig verwertet Avurden. Hervorzuheben sind in dieser Beziehung die Arbeiten AVhitneys, Max Müllers und A. Webers, welch letzterer besonders alles, was für solche Probleme aus dem Veda gewonnen werden kann, mit ausserordentlicher Gelehrsamkeit zusammenstellte. Die von Biot angeregte Frage ist freilich bis zur Stunde noch nicht entschieden; und wie überhaupt die vedischen Nachrichten über Astronomisches und Kalendarisches zu deuten und zu verwerten sind, darüber hat sich erst in den letzten Jahren wieder eine
Einleitung.
neue Controverse erhoben, welche sehr beträchtliche Meinungsdifferenzen offen- bart hat. Im grossen Ganzen aber hat man doch jetzt klare Begriffe über die allgemeinen Perioden des astronomischen Wissens in Indien gewonnen, wie solche im Verlauf dieser Arbeit charakterisirt werden sollen.
Nächst der Frage über die Tragweite des vedischen astronomischen Materials ist das wichtigste Problem das^ wann und auf welche Weise das wissenschafthche System entstanden sein mag, welches im Sürya-Siddhänta und verwandten W^erken vorliegt. Dass dasselbe kein sehr hohes Alter be- anspruchen kann, sondern kaum viel über den Anfang der christlichen Ära zurückdatirt werden darf, ist gegenwärtig ziemlich allgemein anerkannt. Ebenso wird fast allgemein zugestanden, dass das System keine selbstständige indische Schöpfung ist, sondern auf einer Verarbeitung griechischer Ideen beruht, denen durch die eigentümliche Methode und Form der Dar.stellung ein indisches Gepräge aufgedrückt worden ist. Als bedeutende Vertreter dieser Ansicht mögen BiOT und Whitney genannt werden und als ein wichtiger Beitrag zur näheren Kenntnis der Entstehungsgeschichte des Systems die Einleitung zu Kerns Ausgabe von Varäha-Mihiras Brhat-Samhitä. Wichtig ist ebenfalls die von dem letzteren Gelehrten besorgte Ausgabe des uns erhaltenen astronomischen Werkes des Aryabhata. Ein tieferer und genauerer Einblick in den Ursprung und die frühe Geschichte des Systems wurde aber erst möglich durch das Bekanntwerden (1889) der Paiicasiddhäntikä des Varäha-Mihira, welche einen Abriss der Lehren der fünf im Anfange des 6. Jahrhunderts n. Chr. in Indien als autoritativ anerkannten astronomischen Lehrbücher gibt. In der Einleitung zur Ausgabe dieses Werkes wurde der Versuch gemacht, die sich aus demselben und anderen alten Quellen ergebenden Aufschlüsse zur Erkenntniss der früheren Geschichte des Systems zu verwerten. In derselben Weise, aber viel ausführ- licher, ist seitdem Sankar Bälkrsxa DTksit vorgegangen, in seiner in Maräthi geschriebenen Geschichte der indischen Astronomie (1896), dem bei weitem reichhaltigsten Werke, das wir bis jetzt über diesen Gegenstand haben. Ob freilich S. B. D.s Hauptthese, dass nämlich das wissenschaftliche System der Inder eine wesentlich selbstständige, auf indischen Beobachtungen beruhende Schöpfung sei, Beifall finden wird, bleibt abzuwarten. Das Werk ist besonders ausführlich über die spätere astronomische Litteratur von Brahmagupta an, ist darin aber teilweise von der in Sanskrit geschriebenen Ganaka-TaramginI (verfasst von Pandit Sudhäkar DvivedT, 1892) anticipirt worden.
Auf die zwei Hauptprobleme, die dem Studium der indischen Astronomie ein höheres Interesse verleihen, ist im Obigen hingewiesen worden. Eine weitergehende genaue Durchforschung der älteren Siddhänta-Litteratur bis etwa auf Brahmagupta wird nicht verfehlen, zur Aufhellung der zweiten der genannten Fragen beizutragen. Das Interesse an der späteren Litteratur ist an sich ganz gering, da dieselbe sich nur mit immer erneuerter Darstellung der alten Lehren beschäftigt, ohne irgendwelchen wesentlichen Fortschritt zu repräsentiren. Auch die Einwirkung, welche seit der Zeit der muhamedanischen Eroberungen in Indien die arabisch-persische Astronomie auf die indische aus- geübt hat, kann kaum ein höheres Interesse als das eines historischen Curio- sums beanspruchen. — Was die Inder vor der Zeit der Entstehung ihres wissenschaftlichen Systems, d. h. also, nach der vorherrschenden Annahme, vor der Zeit griechischen Einflusses, über astronomische Dinge wussten und theorisirten, ist nicht viel und sehr primitiver Natur; immerhin aber sind diese Ansichten insofern interessant, als sie das eigentliche national-indische System repräsentiren. Und, uns einem höheren Altertume zuwendend, müssen wir zugestehen, dass alles, was sich von astronomischen Daten aus dem Veda gewinnen lässt, insofern eine grosse Wichtigkeit besitzt, als es auf die Periode,
1*
4 III. Religion, weltl. Wissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u. s.w., Mathematik.
welcher dieser Zweig der indischen Litteratur angehört, Licht zu verbreiten verspricht; und ausserdem darf es dasjenige allgemein philosophische Interesse beanspruchen, welches wir überall den Anfängen der Dinge entgegenbringen. Ausser dem theoretischen Interesse, das die indische Astronomie und Mathemathik für uns hat, hat das Studium derselben auch seine praktische Seite, indem es uns befähigt, die chronologischen und kalendarischen Be- rechnungen der Hindus zu verstehen; es wird in dieser Hinsicht eine unent- behrliche Hilfswissenschaft der indischen Geschichte. Die nähere Betrachtung dieser praktischen Anwendungen liegt ausserhalb des Rahmens dieser Arbeit; als Hauptwerke, welche diesen Zwecken dienen, mögen hier nur das schon oben erwähnte Kälasamkalita von Warren erwähnt werden, und unter den ziemlich zahlreichen neueren Werken »The Indian Calendar« von R. Sewell und Sankar Bälkrsxa DTksit (1896).
Im Obigen konnte nur auf die Hauptpunkte in der Entwicklung des modernen, nach der Methode europäischer Wissenschaft vorgehenden Studiums der indischen Astronomie Rücksicht genommen werden. Die meisten der genannten Werke werden im Verlauf dieser Arbeit wieder genannt und citirt werden. Eine sehr nützliche detaillirte Übersicht des europäischen Wissens von indischer Astronomie wurde von J. Burgess gegeben (Notes on Hindu Astronomy and the History of our Knowledge of it; JRAS. 1893).
ERSTES KAPITEL. ASTRONOMIE.
§ 2. Die drei Perioden. — Wenn wir uns eine Übersicht des von den Indern auf astronomischem Gebiete Geleisteten verschaffen wollen, teilen wir das ganze Feld am besten in drei durch historische Rücksichten bestimmte Sektionen ein. Eine Abteilung umfasst die ganze Zahl von Werken, als deren best bekannte Typen der Sürya-Siddhänta und der Siddhänta-Siromani an- gesehen werden dürfen, Werke, die dasjenige System repräsentiren, welches man gewöhnlich meint, wenn man im Allgemeinen von indischer Astronomie spricht. Die frühesten Werke dieser Art sind, wie wir unten sehen werden, wahrscheinlich in den früheren Jahrhunderten der christlichen Ära entstanden; das von der ganzen Klasse vertretene System hat erst im Laufe des gegen- wärtigen Jahrhunderts angefangen, dem Einfluss moderner europäischer Astro- nomie zu weichen. Dass es selbst aber kein ungemischt echtes Produkt indischer Wissenschaft ist, sondern in seinen Grundzügen als auf der alexan- drinisch-griechischen Astronomie beruhend zu betrachten ist, wird heutzutage fast allgemein zugegeben. Wir haben uns daher weiter der Frage zuzuwenden, welche astronomischen Ansichten in Indien vorherrschten, ehe sich der grie- chische Einfluss geltend machte. Die litterarischen Denkmäler, die uns be- fähigen, diese Frage zu beantworten, sind hauptsächlich das sog. Jyotisa- Vedänga, das astronomische Buch der Jaina und gewisse Kapitel der Puränas. Und da alle diese Werke der nachvedischen Periode anzugehören scheinen, d. h. einer Periode, die später ist als die der Brähmanas, so wird es fernerhin unsere Aufgabe sein, uns einen Begriff zu bilden von dem Stande der astro- nomischen Kenntnisse in Indien in der vedischen Periode, worunter wir hier den ganzen Zeitraum verstehen wollen, dem die Samhiläs sowohl als die Brähmanas angehören. Wir haben aus dieser Periode keine Texte speciell astronomischen Inhalts, sondern müssen uns damit begnügen, diejenigen Stellen in den Werken der zwei genannten Klassen zu verwerten, welche auf Dinge astronomischer Natur Bezug nehmen.
Der historischen Ordnung folgend beginnen wir unsere Darstellung mit der letzterwähnten, aber zeitlich ersten Periode, der vedischen, für welche unsere Quellen die Samhitäs und Brähmanas sind, in zweiter Linie auch die
I. Astronomie. — Vedische Periode.
Kalpa- und Grhya-Sütras, insofern sie das von den Brähmanas Gebotene syste- matisiren, und selbst ausserhalb der Sütra-Litteratur stehende AVerke wie das Jyotisa-Vedähga , das wir oben der zweiten Periode zugerechnet haben, das aber zugleich als eine Art Abschluss der ersten Periode betrachtet werden kann. Eine genaue Abgrenzung der ersten und zweiten Periode lässt sich überhaupt nicht bewerkstelligen; um die vereinzelten astronomischen Andeu- tungen der früheren Periode zu verstehen, sind wir genötigt, sie mit den mehr systematischen und uns vollständiger bekannten Darstellungen der zweiten Periode zusammenzuhalten, wobei die letzteren teils durch Übereinstimmung, teils durch Kontrast dazu beitragen, die ersteren zu erleuchten.
Es liegt nicht im Rahmen dieser Arbeit, den Mythenstoff der vedischen Litteratur zu analysiren mit Bezug auf die Frage, wie weit ihm etwa astro- nomische oder kosmologische Anschauungen zu Grunde liegen mögen. In gewissem Sinne steht ja freilich ein bedeutender Teil der vedischen religiösen Anschauungen in einem nahen Verhältnis zur Astronomie. Gegenstand der Verehrung sind von Alters her vornehmHch die Lichtgötter, besonders der Sonnengott in vielfachen Formen und die Morgenröte, dann, wenn auch in schwerer zu bestimmendem Masse, der Mondgott. Andere viel verehrte Gott- heiten, wie die Asvins, gehören, wenigstens höchst wahrscheinlich, ebenfalls dem Reiche der lichten Himmelserscheinungen an. Ein grosser Teil aber dessen, was die alten Hymnen über diese göttlichen Wesen zu sagen haben, ist von zu populärem Charakter, um in Verbindung mit der Geschichte astro- nomischer Anschauungen erwähnt zu werden; und in anderen Fällen steht uns die Unsicherheit der bisher gegebenen Interpretationen im Wege. Es w^äre z. B. interessant, wenn sich der Charakter der Asvins feststellen liesse, und wir dieselben etwa mit dem bald als Morgen- und bald als Abendstern erscheinenden Planeten identificiren dürften; oder, wie Andere glauben, mit dem Paar der hellsten Planeten, Jupiter und Venus; aber keine der bisher versuchten Identificationen ist überzeugend. Und dass, um ein weiteres Bei- spiel zu erwähnen, die drei Rbhus Genien der Jahreszeiten sind, ist viel zu unsicher, um etwa daraus eine Dreiteilung der Jahreszeiten in altvedischer Zeit zu erschliessen.
Über die astronomischen Elemente in der vedischen Mythologie vgl. alle neueren Werke, die sich mit letzterem Gegenstande beschäftigen, besonders HlLl.E- BRANDT, Vedische Mythologie; Oldenberg, Religion des Yeda; und Macdonell, Vedic Mythology lIII. Band l. Heft A dieses Grundrisses); ferner den ersten Ab- schnitt iVaidik Käl) von S. B. DiKSiTS Bhäratiyajyotih-Sästra.
§ 3. Vedische Periode. — Kenntnis der Himmelskörper. — Wenn wir uns zu dem wenden, was die Veden in nicht-mythischer, direkter Form über die Beschatfenheit und Ordnung der Welt zu sagen haben, so mag zuerst daran erinnert werden, wie oft und emphatisch die vedischen Sänger auf die Gesetzmässigkeit und Regelmässigkeit hinweisen, mit der sich die Phänomene des Naturlebens, besonders die Lichterscheinungen, vollziehen, wie die Sonne in einem Tage Himmel und Erde umeilt, wie die Morgenröten nie den alt- gewohnten Pfad verfehlen. Die Spur eines naiven Nachdenkens über natür- liche Dinge findet sich in dem öfters ausgedrückten Erstaunen, dass die Sonne, obschon von nichts gestützt, nicht vom Himmel herunterfällt. Die Angaben über die allgemeine Anordnung des Weltgebäudes sind zu unbestimmt gehalten, um uns die Construction eines klaren Bildes zu erlauben. Es werden drei Weltgebiete unterschieden: die Erde, der Luftraum und der Lichthimmel. Jeder dieser Bereiche wird manchmal selbst als dreifach bezeichnet; falls hier an eine wirkliche Dreiteilung zu denken sein sollte (und nicht vielmehr an eine der im Veda nicht ungewöhnlichen Übertragungen einer Zahl, die mehreren
6 III. Religion, weltl.Wissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u. s.w., Mathematik.
Objekten zusammen zukommt, auf jedes einzelne derselben), so ist es schwer sich vorzustellen, was die drei Erden sein sollten; Luftraum und Himmel könnte man sich schon eher als in drei übereinander liegende Regionen ein- geteilt denken. Die PIrde wird rund genannt; wenn sie daneben auch als vier Ecken habend bezeichnet wird, so bezieht sich dies auf die vier Himmels- gegenden; wo von fünf solchen gesprochen wird, ist die Richtung von oben nach imten mit in Betracht gezogen. Von einer feststehenden Einteilung der Erde in Länder oder Regionen findet sich keine Spur; und wo, wie im Ai. Brä.; die Erde samudra-paryaiiia »vom Meer umgrenzt« genannt wird, liegt kein Grund vor, an eine vollständige Umfassung der Erde vom Ocean zu denken, wie sie in der folgenden Periode gelehrt wird. Interessant ist eine Angabe im Jaiminlya-Upanisad-Brähmana, wonach die Mitte der Erde eine Spanne nördlich von dem Plaksa-Präsravana liegt, und die Mitte des Himmels da, wo die sieben Rsis (die Sterne des grossen Bären) sind.
Von den beweglichen Himmelskörpern werden in ganz unzweideutiger Weise nur Sonne und Mond erwähnt, in den Brähmanas sowohl als den Samhitäs. »Nach einander wandeln sie, wie zwei spielende Kinder durch- laufen sie das Luftmeer; alle Wesen überschaut der Eine; die Zeiten ordnend wird der Andere immer neu geboren.« Die Sonne rollt dahin als das Rad der ewigen Ordnung; die Rosse der Sonne durcheilen in einem Tage Himmel und Erde. »Ohne zu rasten, durchkreist sie diese Welten, nach rechts ge- wendet«. Sie ist Mittags der Erde am nächsten, heisst es in einem Brähmana, und anderswo, dass sie hundert Yojanas von der Erde entfernt sei. Interessant ist die Angabe des Ai. Brä. (III. 44), dass die Sonne wirklich weder auf- noch untergeht, sondern dadurch, dass sie sich umdreht, in den unteren Regionen, d. h. auf der Erde, abwechselnd Tag und Nacht hervorbringt. Wie die Sonne vom Westen zum Punkte des Aufgangs zurückkehrt, darüber geben die vedi- schen Texte keinen Aufschluss. Der Mond heisst der Ordner der Zeiten und Monate. Dass er sein Licht von der Sonne erhält, scheinen einige vedische Stellen anzudeuten; doch ist dabei nicht an eine Erleuchtung der ^Mondscheibe in unserem Sinne zu denken, sondern an eine allmähliche Anfüllung des Mondes während der lichten Monatshälfte mit von der Sonne ausströmendem Lichte. — Sonnenfinsternisse werden in den Veden an verschiedenen Stellen in unzweideutiger Weise erwähnt und daselbst der Action eines Svarbhänu genannten Dämons zugeschrieben; an den nötigen Daten zu einer etwaigen Identification dieser Finsternisse fehlt es natürlich vollständig.
Die Kenntnis der fünf Planeten ist den vedischen Indern öfters abge- sprochen worden. Dass ihnen die helleren Planeten, Venus und Jupiter, wenigstens als Planeten, d. i. als Himmelskörper, die ihre Stelle unter den anderen Sternen ändern, unbekannt gewesen sein sollten, ist a priori sehr wenig wahrscheinlich; und es ist ganz wohl möglich, dass der Brhaspati der Hymnen ursprünglich nichts anderes war als der spätere Brhaspati, d. i. der Planet Jupiter. Eine ganz andere Frage ist, ob die Gesamtheit der fünf Planeten den vedischen Ariern bekannt war. Bestimmtes lässt sich darüber nicht sagen; die auffallende Thatsache, dass die Brähmanas, die so gerne be- kannte Zahlen\erhältnisse zu allegorisirenden Spielereien verwenden, der fünf Planeten nie Erwähnung thun, lässt es wenig wahrscheinlich erscheinen, dass einige in den Rk-Hymnen genannte Fünfzahlen auf die Planeten gedeutet werden dürfen.
Über vedische kosmologische Ansichten vgl. Weber, Indische Studien IX,
p. 358fif. ; Wallis, Cosmology of the Rigveda; Macdonell, Vedic Mythology, § 7;
Zlmmer, Altindisches Leben, p. 357 ff. — Über Sonne und Mond vgl. alle Werke
über vedische Mythologie; Kaegi, Der Rigveda, passim; Zimmer, AIL. p. 349 ff. ;
Abschnitt I von SBD. — Über die vedische Kenntnis der Planeten vgl. Ludwig,
I. Astronomie, — Vedische Periode.
Rigveda III. p. 183 ff.; ZiMMER, ALL. p. 355 ff.; Kaegi, Rigveda p. 152; SBD. p. 6^{{.; Oldenberg, Religion des Veda, p. 192 ff.
§ 4. Vedische Periode. — Zeitrechnung. — Wir wenden uns zu der Zeitrechnung der vedischen Periode. Alle vedischen Texte sprechen über- einstimmend und ausschliesslich von einem Jahre von 360 Tagen. Stellen, welche diese Länge des Jahres direkt angeben, finden sich in allen Bräh- manas; und die 360 Tage und 720 Tage und Nächte des Jahres werden in der Rk. S. (I, 164) allegorisch angedeutet; ähnlich bezieht sich Ath. S. IV, 35, 4 auf die zwölf Monate, deren jeder 30 Tage enthält. Ebenso umfassen die grossen ayana genannten Somaopfer, die evident ein Jahr dauern sollten, 360 Tage; in späterer Zeit hat sich dies Opferjahr als eine der verschiedenen Jahresformen erhalten und heisst dann sävana, d. i. das mit dem Pressen isavana) des Soma verknüpfte Jahr. Die Entstehung eines Jalires von 360 Tagen hat man sich zweifellos so zu denken, dass die Länge eines synodischen Monats rund auf 30 Tage angenommen wird, und demnach dem Jahre, das nicht mehr als zwölf volle Monate enthält, 360 Tage zugeschrieben werden. Monate und Jahre können in dieser Weise als conventionelle Perioden an- gesehen werden, und man kann daher fortfahren, ihnen die genannten Längen zuzuschreiben, selbst nachdem sich genauere Vorstellungen über ihre wirk- liche Länge entwickelt haben. Soll aber zugleich eine Zeitrechnung vorhanden sein, die auf die Jahreszeiten und die wahren Mondwechsel Rücksicht nimmt, so müssen Verbesserungen von zweierlei Art gemacht werden: es müssen Tage oder Monate eingeschoben werden, um das Jahr von 360 Tagen mit dem Lauf der Jahreszeiten in Einklang zu erhalten, und es müssen gewisse synodische Monate als überzählig behandelt werden. Dass schon in der vedischen Periode gewisse Einschaltungen oder Auslassungen vorgenommen wurden, ist sicher; es erhellt dies schon aus der Stelle Rk. S. I, 25, 8, welche sagt, dass Varuna den zu den zwölf ^^lonaten zugeborenen fMonat) kennt. Was aber der Modus des Verfahrens war, wissen wir nicht, und es ist auffäUig, dass nirgends im Veda einer bestimmten Schaltperiode Erwähnung geschieht, und z. B. neben der immer wiederkehrenden Bemerkung, dass das Jahr 360 Tage habe, auf die weiteren fünf oder sechs Tage, die dem eigentlichen Sonnenjahr zukommen, nirgends Bezug genommen wird, ein Mangel, der um- somehr auffällt, als, Avie schon erwähnt, die Brähmanas sich gerne in allegori- sirend-spielender Weise mit bekannten Zahlenverhältnissen beschäftigen. Dazu kommt der noch mehr auffallende Umstand, dass mehrfach die oben con- ventionell genannten Längen von Monat und Jahr festgehalten werden in Fällen, wo der conventionelle Wert sehr schlecht am Platze ist. Wenn gesagt wird, dass der Mond 15 Tage zunimmt und ebensoviele abnimmt, so mag dies noch hingehen; bedenklicher schon ist es, wenn ausdrücklich behauptet wird, dass die Sonne 6 Monate gegen Norden und ebensoviele gegen Süden geht; denn da die Texte nur einen dreissigtägigen Monat kennen, so wird hier das Ayana auf 180 Tage angesetzt anstatt auf 183. Dass es sich hier nicht nur um conventioneil ungenaue Angaben handelt, sondern vielmehr um ganz verkehrte Anschauungen, zeigt die Stelle im Nidäna-Sütra, wo gesagt wird, dass die Sonne in jedem der 27 Naksatras 13V3 ^^8^ verweile, und somit das wahre Sonnenjahr auf 360 Tage abgeschätzt wird. Die spätere Zeit weiss freilich allen solchen auffälligen Angaben gerecht zu werden, indem sie Tage, Monate und Jahre verschiedener Art unterscheidet. Dass der Mond je 1 5 Tage zunimmt und abnimmt, ist ganz richtig, wenn wir nämlich unter einem Tag nicht den natürlichen Tag verstehen, sondern den dreissigsten Teil eines synodischen Monats, den sog, lunaren Tag {cändra oder tithi). Ebenso ist gegen die Angaben der Länge der Ayanas und der Zeit, während der die
8 III. Religion, weltl.Wissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u.s.w., Mathematik.
Sonne in Verbindung mit einem Naksatra bleibt, nichts einzuwenden, wenn die dort erwähnten Tage die später sogenannten solaren (saura) Tage sind, deren jeder dem 360. Teile des wahren Sonnenjahres gleich ist. Diese Unter- scheidungen, mit deren Hilfe die Commentatoren die Schwierigkeiten der vedischen Texte überwinden, sind al)er von dem Standpunkte der letzteren aus völlig unzulässig; die Methode, Jahre und Monate künstlicli in 360 und 30 Teile zu zerlegen, gehört erst der folgenden, zweiten Periode an. Selbst der Grundbegriff der späteren Zeiteinteilung, der der Tithi, ist den Brähmanas völlig fremd. Die eigenthch vedischen Texte kennen nur einen, den natür- lichen Tag; anstatt des Tages sprechen sie oft von der Nacht, eine — wie es scheint — ältere Redeweise. Wie unter diesen Umständen, d. h. bei völlig un- klaren Begriffen über die wahre Länge des Jahres und, vermutlich, des Monats, die Einschaltungen zuwege gebracht wurden, die nötig sind, um Mondzeit mit Sonnenzeit und das Jahr von 360 Tagen mit dem wahren Sonnenjahr im Einklang zu erhalten, ist schwer zu verstehen. Wie erwähnt, sprechen schon die Samhitäs von einem »zugeborenen« (dreizehnten) Monat, und in den Bräh- manas wird der 13. Monat oft genannt, manchmal mit Zusätzen die ihn als schwer zu erkennen oder zweifelhaft bezeichnen, Ausdrücke die anzudeuten scheinen, dass es damals eine feste Theorie zur Einschaltung noch nicht gab. Wir wissen, welches System als allen diesen Schwierigkeiten Rechnung tragend schliesslich, d. h. vermutlich gegen das Ende der Sütra-periode, allgemein angenommen wurde, nämlich das im Jyotisa-Vedähga, Garga und ähnhchen Werken — die wir unserer zweiten Periode zurechnen — dargestellte. Diesem System liegt ein Sonnenjahr von 366 Tagen zu Grunde, und die Monate die es anwendet, sind nicht dreissigtägige sondern Monate von sg^^/ji Tagen, welche Summe in dreissig Tithis von gleichem Umfang eingeteilt wird. Fünf Jahre von je 366 Tagen enthalten demnach 62 Monate, von denen zwei, einer in der Mitte und einer am Ende der fünfjährigen Periode, als über- zählig {adhikd) behandelt werden. Die fünfjährige Periode lässt sich weiter in 61 Monate von je 30 Tagen einteilen, und auch in 60 solare Monate, wenn man unter einem solchen den 12. Teil von 366 Tagen versteht. Dass aber diese fünfjährige Schaltperiode (ganz abgesehen von solch künstlichen Annahmen wie die Einteilung des synodischen Monats in 30 Tithis und des Sonnenjahres in 12 Monate) schon in vedischer Zeit im Gebrauch gewesen sein sollte, haben wir durchaus kein Recht anzunehmen; nirgends in den Brähmanas fuidet sie sich erwähnt; und die Anspielungen auf sie, die man in den Hymnen gefunden haben will, sind ganz zweifelhaft. Dass sie nicht einmal in der Sütraperiode allgemeinen Eingang in vedisch-priesterlichen Kreisen ge- funden hatte, beweisen die Angaben, welche die Sütren des Säma-Veda über die verschiedenen Jahresarten machen. Dieselben stehen noch ganz auf alt- vedischem Standpunkt, indem sie als Grundform des Jahres das 36otägige ansehen und von demselben ausdrücklich behaupten, es sei ein auf die Naksa- tras bezügliches Sonnenjahr (äditva-sainvatsaro näksatrah)^ weil — wie schon oben erwähnt — die Sonne in soviel Tagen die Naksatras durchlaufe, in jedem 1373 Tag verweilend. Dann folgen die merkwürdigen Worte: »Nun das um 18 (Tage) grössere (Jahr). Dies ist ein Sonnenjahr in Bezug auf den seit- lichen (transversalen) Gang {ädityasamvatsai-a cva tairyagayanikah). Denn die Sonne geht beständig einmal {sasvad ekadä) sechs Monate und neun Tage gegen Norden, und ebenso gegen Süden«. Dieses Jahr von 378 Tagen lässt sich nun nur so erklären, dass die Sütra -Verfasser Kunde hatten von dem Umstand, dass ein Sonnenjahr von 360 Tagen durchaus nicht mit den Beob- achtungen der Solstizien im Einklang steht (der »seitliche« tiryak- Gang ist die Bewegung der Sonne in Deklination), und dass die richtigere Annahme
I. Astronomie. — Vedische Periode.
die eines Sonnenjahres von 366 Tagen wäre. Unter dem Einfliiss aber der alten Tradition, dass das Jahr 360 Tage habe, waren sie unfähig, ein 366tägiges Jahr als das normale zu betrachten, und ergriffen daher den uns freihch ungeheuerlich erscheinenden Ausweg, anzunehmen, dass, während die Sonne in der Regel 180 Tage je nach Norden oder Süden gehe, sie »beständig einmal«, das muss heissen »beständig von Zeit zu Zeit«, 189 Tage auf jedes Ayana verwende. Dies geschieht, bei der Voraussetzung eines 366tägigen Jahres, jedes dritte Jahr, so dass am Ende von je drei Jahren die Solstizien wieder in Ordnung sind. Wie freilich daneben behauptet werden kann, dass die Sonne immer in 360 Tagen die Naksatras durchlaufe, ist nicht abzusehen. Die Texte sagen weiter, dass ein lunares icändrainasa) Jahr 354 Tage habe, und dass die Monate eines solchen Jahres abwechselnd 30 und 29 Tage haben. Auch dies stimmt nicht zu der Annahme eines fünfjährigen Yuga; denn in dem letzteren haben 62 Monate 1830 Tage, während nach den Sämasütren sie nur 1829 haben würden, so dass am Ende des fünften Jahres keine Übereinstimmung zwischen Sonnen- und Mondzeit eintreten würde. Und wenn schliesslich näksaira Monate von 27 Tagen angenommen werden, so widerspricht dies ebenfalls der Theorie des fünfjährigen Yuga, nach welcher ein näksatra Monat aus 27^767 Tagen besteht. Wie nach den Sämasütren man sich die Weise vorstellen soll, in der Sonnen- und Mondrechnung in Ordnung gehalten wurden, ist unsicher; jedenfalls haben wir es hier mit An- schauungen zu thun, denen eine fünfjährige Schaltperiode fremd ist.
Während wir demnach für die eigentlich vedische Zeit die Kenntnis des fünfjährigen Yuga nicht annehmen können, werden wir auf der anderen Seite nicht zögern dürfen, Spuren dieser ja schliesslich allgemein recipierten Periode in Teilen der späteren vedischen Zeit anzuerkennen. Daraus, dass die verschiedenen Namen des Jahres (samvatsara, parivatsara etc.), welche später für die fünf Jahre des Yuga verwendet werden, schon vielfach in den vedischen Texten vorkommen, lässt sich freiUch nichts folgern, denn diese Namen erscheinen manchmal als fünf, dann aber auch als sechs oder vier, als drei oder zwei; und wo fünf genannt werden, liegt keinerlei Hindeutung auf ein Yuga vor. Wahrscheinlich sind nur einige dieser Namen (etwa satn- vatsara und parivatsara) alt und bedeuteten ursprünglich nichts als das ein- fache Jahr; weitere solche Namen wurden dann gebildet, je nachdem die Details des Opferceremoniells es erforderten; vier z. B. erscheinen in Ver- bindung mit den vier Cäturmäsya-Opfern. Für die einzigen sicheren Spuren eines sich bildenden oder allmählich in \'edischen Kreisen in Aufnahme kommenden fünfjährigen Yuga können diejenigen Stellen in den Texten des Yajurveda gelten, wo davon die Rede ist, dass die Cäturmäsya-Feiern während einer Periode von fünf Jahren fortzusetzen sind, wobei zugleich, wenn schon in wenig klarer Weise, darauf hingewiesen wird, dass dadurch der dreizehnte Monat erreicht wird. Eine Periode von fünf Jahren wird hier offenbar als eine passende Schaltperiode angesehen.
Über die Zeitrechnung der vedischen Periode vgl. Weber, Die vedischen Nachrichten von den naxatra, 2. Teil (Abhandlungen der Akademie der Wissen- schaften zu Berlin 1861), passim; Weber, Vedische Beiträge, 1894 fSitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften zu Berlin) p. 37 ff.; ZlMMER, AIL. p. 360 fr.; SED., I. Abschnitt. — Die wichtigen Stellen aus den_ Sämasütren finden sich in der erst- genannten Abhandlung Webers p. 281fr. — Über die Cäturmäsya-Feiern und ihre Beziehung zum fünfjährigen Yuga vgl. dieselbe Abhandlung p. 334 fr.
S 5. Vedische Periode. — Die Zwölften. — In neueren Büchern über vedische Altertümer finden wir ziemlich allgemein die Behauptung, dass, neben der Einschaltung eines 13. Monates, der Veda eine zweite und zwar ältere Methode kenne, Mond- und Sonnenzeit im Einklang zu erhalten, näm-
I o III. Rei-igion, weltl.Wissensch. U.Kunst. 9. Astronomie u.s.w., Mathematik.
lieh vermittelst einer Einschiebung von 12 Tagen am Ende des Mondjahres von 354 Tagen, wodurch dem Sonnenjahr von 366 Tagen Rechnung ge- tragen werde; das Alter dieser Methode werde durch die altgermanische Ansicht der Heiligkeit der »zwölf Nächte« oder »Zwölften« bestätigt. Ohne uns in eine Erwägung der Schwierigkeiten einzulassen, die aus einer solchen Einschaltungsmethode folgen würden^ bemerken wir erstens, dass von indischem Standpunkte aus wir kein Recht haben, die Kenntnis eines 366tägigen Sonnen- jahres in uralter Zeit anzunehmen, und zweitens — was entscheidender ist — dass die vedischen Texte in keiner Weise darauf hinweisen, dass die zwölf Nächte vor dem Wintersolstiz — oder irgendwo am Ende des Jahres — irgendwelche besondere Beachtung gefunden haben sollten. Dass die Rbhus — die möglicher Weise Genien der Jahreszeiten sind — 12 Tage im Hause des Agohya schlafen, ist eine völlig unbestimmte Aussage, auf die allein sich gar nichts bauen lässt; und die damit in Verbindung gebrachten Brähmana- Stellen, die sagen, dass zwölf Nächte (nicht »die zwölf Nächte«) das Abljild des Jahres sind, haben mit den zwölf Nächten vor dem Wintersolstiz absolut nichts zu thun. Eine Festfeier von zwölf xN'ächten (oder Tagen) ist ein Ab- bild des Jahres aus dem einfachen Grunde, dass das Jahr zwölf Monate hat; jeder Tag der Festfeier stellt einen Monat des Jahres dar.
Über die »Zwölften« vgl. Weber, Zwei vedische Texte über Omina und
Portenta, p. 388 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1858);
Zimmer, AIL. p. 366; Kaegi, Rigveda, p. 152.
S 6. Vedische Periode. — Ayanas, Jahreszeiten. — Das Jahr wird in zwei Ayanas, »Gänge«, abgeteilt; während eines derselben geht die Sonne nach Norden, während des anderen nach Süden; jeder dieser »Gänge« umfasst sechs Monate. Dass unter einem Ayana die zwischen je zwei successiven Solstizien liegende Periode zu verstehen ist, darüber ist die gesamte eigentlich astronomische Litteratur der Inder einig, und auch schon in den Bräh- manas finden sich darüber bestimmte Angaben, wie wenn das Kau. Brä. XIX sagt, dass die Sonne still steht, nachdem sie sechs Monate nach Süden ge- gangen ist, um sich dann wieder nach Norden zu wenden etc. Wir haben demnach kein Recht zu der Annahme (welche in neuerer Zeit von Einzelnen gemacht worden ist), dass in einigen vedischen Stellen unter den Perioden, während welcher die Sonne »nördlich« oder »südlich« geht, die Hälften des Jahres zu verstehen seien, während derer die Sonne sich entweder nördlich oder südlich vom Äquator befindet d. h. die zwischen je zwei Äquinoctien befindlichen Jahreshälften. Eine auf den Solstizien beruhende Einteilung des Jahres kommt freilich mit einer anderen Einteilung des Jahres, nämhch der auf den Jahreszeiten beruhenden, mehrfach in Widerspruch, indem es bei einer natürlichen Begrenzung der Jahreszeiten unthunlich ist^ eine Jahreszeit zugleich mit dem Wintersolstiz anfangen zu lassen; über die hieraus ent- springenden Incongruenzen dürfen wir uns aber nicht dadurch hinaushelfen, dass wir dem Terminus ^myafia«. eine neue Definition aufdrängen. Wenn das Sa. Brä. IL i. 3 sagt, dass Frühling, Sommer und Regenzeit die Jahres- zeiten der Götter sind, und dass während derselben die Sonne sich nach Norden wendet {tidag ävajiate), so haben wir es hier mit einer Verschmelzung zweier Formen von Jahreseinteilung zu thun, die sich ohne Opfer von Ge- nauigkeit nicht ausführen Hess. Die wärmere und hellere Hälfte des Jahres wird natürlich den Göttern zugeschrieben; dass von dieser Hälfte aber nur der grössere Teil mit dem nördlichen Gang der Sonne zusammenfällt, wird unbeachtet gelassen. Die sich so ergebende Incongruenz wird übrigens um so kleiner, je früher wir den Beginn des Frühlings ansetzen.
Die natürliche Einteilung des nordindischen Jahres ist die in drei Jahres-
I. Astronomie. — Vedische Periode. i i
Zeiten — eine warme Zeit, eine Regenzeit und eine kühle oder kalte Zeit; es sind dies auch die in der jetzigen Zeit volkstümlich unterschiedenen Ab- schnitte des Jahres. Demgemäss werden auch in den Brähmanas die Jahres- zeiten {rtu) manchmal als drei bezeichnet, und dem entspricht das alte Institut der drei cäturmäsya, d. i. der am Anfang je einer viermonatlichen Jahreszeit darzubringenden Opfer. Eine weiter specialisirende Betrachtung führt auf die Annahme von fünf Jahreszeiten, indem zwischen der Regenzeit und der kalten Zeit eine Übergangsperiode von herbstlichem Charakter an- erkannt wird, und ferner ein Unterschied gemacht wird zwischen den ganz heissen Monaten des Jahres und den vorhergehenden warmen Monaten, die unmittelbar auf die kühle Zeit folgen. Das System von fünf Jahreszeiten ist dementsprechend schon in den Brähmanas vielfach anerkannt. Der Umstand ferner, dass das Jahr zwölf Monate hat, und dass es bequem ist, eine Zahl von Jahreszeiten zu haben, die sich der der Monate leicht anpassen lässt, rauss wohl als der Grund angenommen werden, dass schliesslich das schon in den Brähmanas im ganzen vorherrschende System von sechs Jahreszeiten zur Geltung kam; es wird hier als sechste Jahreszeit eine kühle {sisira) Periode zwischen den eigentlichen Wintermonaten und den warmen Frühlingsmonaten eingeschoben. Die Reihe der Jahreszeiten ist demnach, wenn wir mit dem Frühling anfangen, vasajita, gfisina, rarsä, s'arad, /ieina?ita, sisira. Die Unterscheidung von sechs zweimonatlichen Jahreszeiten kann mit Hinsicht auf die natürlichen Verhältnisse kaum eine glückliche genannt werden; ihr be- deutendster Defect ist, dass sie die Regenzeit, die in keinem Fall auf weniger als drei Monate angesetzt werden darf, ungebührlich verkürzt. Es mag hier erwähnt werden, dass eine freilich in der vedischen Litteratur nicht bekannte (sondern erst aus Susruta belegbare) Einteilung des Jahres in sechs Jahres- zeiten, von denen zwei durch ihre Namen als mit dem Regen in Verbindung stehend bezeichnet werden {prävrs und varsä), dem natürlichen Lauf des nordindischen Jahres besser entspricht als die erwähnte allgemein gebräuch- liche; sie schliesst sich daher auch näher an die alte natürliche Dreiteilung des Jahres an.
Über Ayanas, Jahreszeiten und Monate vgl. die zu §4 genannte Litteratur, be- sonders die erstgenannte Abhandlung von Weber, und .SBD. — Vielfache Erörte- rungen dieser und verwandter Punkte finden sich auch in der zu § 9 zu nennenden Litteratur.
§ 7. Vedische Periode. — Die Monate und ihre Einteilung. — Die Monate der vedischen Texte sind, wie schon bemerkt, unzweifelhaft als synodische Monate zu verstehen, werden aber — auf Grund von Einschaltungen, die uns in ihren Details nicht bekannt sind — zugleich mit den Jahreszeiten in eine feste Verbindung gesetzt. Dies erhellt schon aus den ältesten Namen- listen der Monate, die uns erhalten sind. Als solche nämlich müssen wir die in den Vajustexten überlieferten Listen ansehen, welche die folgenden Namen aufführen: maä/m, mädhava; s'ukra, s'iici; nab/ias, nabhasya; is, ürj ; sa/ias, sahasya; tapas, tapasya (wozu an einigen Stellen amhasaspati als der Name des 13. Monats kommt). Diese Namen haben nicht nur offenbar Bezug auf Phänomene des solaren Jahres, und zwar, wie aus ihrer Anordnung in sechs Paaren erhellt, auf ein in sechs Jahreszeiten eingeteiltes Jahr, sondern werden auch von den Texten direct als die zu Frühling, Sommer, Regenzeit, Herbst, Winter und kühler Zeit gehörigen Jahreszeiten bezeichnet. Ob diese Namen je in allgemeinem Gebrauch waren oder nur ceremonielle Verwendung hatten — \At man vermuten könnte, da sie nur in Mantras und in zur Erklärung von Mantras dienenden Stellen vorkommen — ist zweifelhaft; und sehr alt scheinen sie deshalb nicht zu sein, weil sie mit der künstUchen Einteilung des Jahres
1 2 in. Religion^ weltl.Wissensch. u. Kunst, 9. Astronomie u. s.w., Mathematik.
in sechs Zeiten in Verbindung stehen. Altere Namen haben wir aber nicht; und sie zeigen jedenfalls, dass zur Zeit der Yajustexte ein System bestand, das darauf ausging, Mond- und Sonnenzeit in fester Übereinstimmung zu erhalten. — Von anderen gleichfalls nur in Mantras vorkommenden Namenlisten (worüber die Details bei A. Weber, D. ved. Nachr. von den Naxatra, II. p. 34g ff.j scheint es höchst wahrscheinlich, dass sie durchaus nur priesterliche Erfin- dungen sind; und Beziehungen derselben auf die Jahreszeiten lassen sich zwar erraten, sind aber nicht sicher genug, um als Quelle der Belehrung zu dienen. Keines der bisher erwähnten Namensysteme findet aber in den vedischen Texten eine praktische Anwendung; wo immer dieselben von einem Opfer oder anderem Vorkommnis zu sagen haben, an welchen Monat es gebunden ist, machen sie Gebrauch von Bezeichnungen, die auf dem Stande des Mondes, zu der bestimmten Jahreszeit, in den sog. Naksatras beruhen. Es wird hier- von weiter unten in Verbindung mit der Erörterung der Nak.satras gehandelt werden.
Der Monat zerfällt in zwei durch Neumond und Vollmond begrenzte Hälften, von denen die des zunehmenden Mondes die lichte {sukla), die des abnehmenden Mondes die schwarze {krsna) heisst. Die erstere wird häufig als die frühere {pürva), die zweite als die spätere iapara) bezeichnet. Diese Benennung setzt natürlich einen mit dem Neumond anfangenden Monat vor- aus; daneben fehlt es aber nicht an Stellen, in denen der Vollmond als Ende des Monats und damit zugleich als Anfang des nächsten Monats bezeichnet wird. Jedem Halbmonat werden 15 Tage zugeschrieben; dass dies zu viel ist, wird nirgends anerkannt. Dass die 15 Tage des Halbmonats nicht als lunare Tage im Sinne der späteren Tithis verstanden werden dürfen, ist schon oben bemerkt worden. Als anerkannter Einschnitt im lunaren Monat wird, neben dem Vollmond und Neumond, noch die Astakä, d. i. der achte Tag nach dem Vollmonde, genannt; unter diesen Astakäs wird an einigen Stellen die ekästakä, d. i. die auf den Vollmond des Monats Mägha folgende Astakä, hervorgehoben, als zum Ende des alten und Anfang des neuen Jahres in Beziehung stehend. — Die Tagnacht zerfällt in dreissig Muhürtas. Der Muhürta wird an einigen Stellen der Brähmanas in einer bis zu sehr kleinen Zeitabschnitten vorschreitenden Weise weiter eingeteilt, und unter den Namen dieser kleinen Zeitteile finden sich einige, die sich auch in späterer Zeit erhalten haben; es liegt hier aber offenbar kein festes System der Zeit- einteilung vor, und die Aufzählung von ganz kleinen Zeitbrüchen ist überhaupt nichts weiter als eine müssige Spekulation, die nicht irgendwie in die Praxis übertrat.
§ 8. Vedische Periode. — Naksatras. — In die vedische Periode fällt ebenfalls das erste Auftreten eines Zodiaks von 27 oder 28 Sternen oder Sternbildern, den sogenannten naksatra. Dies Wort bedeutet ursprüng- lich bloss Stern oder Sternbild und findet sich in den Samhitäs, wie es scheint, nur in dieser Bedeutung vor; in den Brähmanas dagegen fängt es an, in einer specielleren Bedeutung verwendet zu werden, nämhch als Bezeichnung einer die Sphäre umfassenden Reihe von 27 oder 28 einzelnen Sternen oder Con- stellationen, die sämtlich nicht weit von, die meisten ganz nahe bei, der Ekliptik Hegen und so eine Art von Zodiak bilden. Die Zahl der constituirenden Gheder dieses Zodiaks hängt offenbar damit zusammen, dass der Mond zu seinem siderischen Umlauf etwas mehr als 27 Tagnächte braucht; er langt daher ungefähr jede Nacht des siderischen Monats bei einem anderen Ghed der Naksatrareihe an. Die specielle Verbindung des Mondes mit den Naksatras wird durch alles, was die Brähmanas über die letzteren zu sagen haben, durchaus bestätigt. Dieser, demnach lunare, Zodiak hat sich in Indien bis
I. Astronomie. — Vedische Periode. 13
auf den heutigen Tag erhalten, neben dem solaren Zodiak von zwölf Gliedern, der wahrscheinlich in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung mit den Lehren griechischer Astronomie seinen Weg nach Indien gefunden hat. Eine Identification der Sterne, welche die Naksatras constituiren, lässt sich auf Grund des älteren indischen Materials nicht vornehmen; denn genauere Angaben über die Lage derselben, in Längen- und Breitengraden ausgedrückt, finden sich erst in den astronomischen Werken der dritten Periode, unter denen der Sürya-Siddhänta voransteht. Es liegt aber kein Grund vor, daran zu zweifeln, dass die später als Naksatras anerkannten Sterne im ganzen wenigstens die Glieder der älteren Reihe darstellen. Die Identification der späteren Reihe mit den uns bekannten Sternen wurde schon von Colebrooke vollzogen, welcher dazu die ganze spätere astronomische Litteratur und die auf die Naksatras bezügliche Tradition benutzte; seine im ganzen unzweifelhaft rich- tigen Resultate sind in einzelnen Punkten von Whitney verbessert worden. In den späteren Texten beginnt die Reihe der Naksatras durchaus mit der indischen Constellation Asvinl (= ß und y Arietis); in den vedischen Texten werden immer zuerst genannt die Krttikäs (die Pleiaden). Die Rk.S. erwähnt in unzweifelhafter Weise nur zwei Glieder der Reihe und zwar im zehnten Mandala. Vollständige Aufzählungen finden sich in der Ath. S. und in den Texten des Yajurveda. Die vedischen Texte sprechen in der Regel von 27 Naksatras; bisweilen wird ein 28. Abhijit erwähnt. Frühe schon hat sich der Gebrauch ausgebildet, entsprechend der Zahl der zodiakalen Sternbilder die Sphäre als in 27 oder 28 Abschnitte eingeteilt zu betrachten; wir werden darauf weiter unten, in der zweiten Periode, zurückkommen. Hier bemerken wir nur, dass die einzigen Stellen in der Sutra-Litteratur, die von den Naksatras bestimmt als Abschnitten der Sphäre sprechen (die oben erwähnten aus den Sämasütren), sich auf 27 Abschnitte von gleichem Umfange beziehen.
Für die Bedeutung und Verwendung der Naksatras in der vedischen Zeit vgl. die melirfach erwähnte Abhandlung von Weber und den ersten Teil derselben: Historische Einleitung (Abh. der Kön. Akad. d. Wissensch. zu Berlin, 1860); ferner den ersten Abschnitt von SBD. — Über die Gleichsetzung der Glieder der Naksatra- reihe mit uns bekannten Fixsternen vgl. Colebrooke, On the Indian and Arabian Divisions of the Zodiac (Asiatic Researches, vol. IX; wieder veröffentlicht in Cole- BROOKES Miscellaneous Essays vol. II); J. B. BlOT, im Journal des Savants 1845, p. 47; BuRGESS-WHrrNEV, Translation of the Sürya-Siddhänta (JAOS. vol. VI), Notes on Ch. VIII; SBD. p. 459. — Über die verschiedenen Formen der Namen der Naksatras s. Webers Abhandlung II, p. 386 ff.
S 9. Vedische Periode. — Ursprung der Naksatras. — Betreffs dieses lunaren Zodiaks erhebt sich zunächst eine Ursprungsfrage, da ganz ähnhche aus 28 Gliedern bestehende Reihen von in der Nähe der Ekhptik liegenden Sternen und Sternbildern sich auch bei anderen asiatischen Völkern finden, vornehmlich bei den Chinesen und den Arabern. Zwischen diesen Reihen herrscht nun in Bezug auf ihre constituirenden Glieder eine so auffällige Übereinstimmung, dass sich der Gedanke an einen gemeinsamen Ursprung der drei unstreitig als der natürlichste darbietet. In bestimmter Weise wurde in dieser Frage zuerst Partei ergriffen von J. B. BiOT, der be- hauptete, dass die Reihe von 28 Sternbildern (oder nach ihm nur »Sternen«) chinesischen Ursprungs sei und ursprünglich mit dem Laufe des Mondes, und überhaupt der Ekhptik, in keiner Verbindung gestanden habe; sie habe zuerst nur 24 Sterne umfasst, die zur Zeit des Kaisers Yao (ungefähr 2350 v. Chr.) auf, oder nahe bei, dem Äquator lagen und gleiche — oder annähernd gleiche — Rectascension hatten mit gewissen circumpolaren Sternen, die von Alters her die Aufmerksamkeit der Chinesen auf sich gezogen hatten. Diese Reihe sei um 11 00 v. Chr. durch Hinzufügung von weiteren vier Sternen, welche
1 4 ni. Religion^ weltl.Wissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u, s.w., Mathematik.
die Solstizien und Äquinoctien der Periode markirten, in eine 28gliedrige verwandelt und in dieser Form den Indern mitgeteilt worden, welche — den ursprünglichen Charakter der Reihe ganz verkennend oder ignorirend — die- selbe mit der Mondbahn in Verbindung brachten, hauptsächlich zu astrolo- gischen Zwecken, und zugleich damit vielilich in willkürlicher Weise abänder- ten. — Gegen diese Theorie von dem Ursprung des lunaren Zodiaks haben besonders Si^:dillot und Whitney zu erweisen gesucht, dass Biors Annahme, die chinesische Reihe sei ursprünglich eine solche von Äquatorial-Stemen, in keiner Weise aufrecht erhalten werden kann; und Weber hat die An- sicht vertreten, dass überhaupt in der älteren chinesischen Litteratur keine Stellen vorkommen, die mit Sicherheit auf eine Reihe von 28 Sternen be- zogen werden können, dass die ersten sicheren Erwähnungen nicht über das dritte vorchristliche Jahrhundert zurückgehen, und dass, da ein Bestehen der indischen Reihe lange vor dieser Zeit ganz sicher ist, die glaublichere Hypo- these die einer Entlehnung der Sieou von Indien ist. Zugleich aber neigt sich Weber der Ansicht zu, dass das ganze System nicht ursprünglich in Indien zu Hause sei, sondern dem westlichen Asien, vermutlich Ijabylon, zu- gehöre, von wo es die Inder und wahrscheinlich auch die Araber entlehnten, obwohl das ausgebildete System der arabischen IMenäzil jedenfalls stark von indischer Astronomie beeinflusst sei. Diese Ansicht — ■ obschon bald von einigen Gelehrten bekämpft, so besonders von ^Iax Müller, der die Naksatra- Reihe als ein indisches Produkt ansieht — hat sich ziemlich weit verbreitet, und schliesslich auch den, freilich etwas reservirten, Beifall Whitneys gefunden, dem wir die wohl im ganzen gründlichste Behandlung aller einschlägigen Fragen verdanken. Ganz in neuester Zeit hat F. Hommel es versucht, den babylonischen Ursprung des Systems — in seinen indischen, arabischen und chinesischen Formen — positiv zu erweisen, auf Grundlage der letzten For- schungen auf dem Gebiete altbabylonischer Astronomie. S£:dillot schliesslich hat die Ansicht vertreten, dass ein lunarer Zodiak seit ältester Zeit den ver- schiedenen in Frage kommenden Nationen bekannt gewesen sei, ohne dass sich über den allerersten Ursprung des Systems etwas aussagen lasse; das System sei aber nur bei den Arabern in einer völlig rationellen Weise aus- gebildet worden, und die schliessliche weitgehende Übereinstimmung der drei uns vorliegenden Formen sei dem Einfluss der arabischen Astronomie auf chinesische und indische Astronomie zuzuschreiben.
Man kann nicht sagen, dass irgend eine der verschiedenen Theorien über den Ursprung des lunaren Zodiaks bewiesen oder auch nur leidlich plausibel gemacht worden ist. BiOTs Theorie, soweit sie den angeblichen Modus des chinesischen Ursprungs betrifft, ist jedenfalls aufzugeben; es scheint aber andrerseits, dass Weber in seiner Verwerfung der älteren chinesischen Zeug- nisse betreffs des Vorkommens einer 2 8gliedrigen Sternenreihe zu weit ge- gangen ist, und dass Grund vorliegt, das Bestehen einer solchen Reihe in China in verhältnismässig sehr alter Zeit anzunehmen. Dafür freilich, dass diese Reihe von China den Indern mitgeteilt v,^orden sein sollte, ist durchaus kein Beweis zu erbringen. Es kann fernerhin wohl kaum mit Grund behauptet werden, dass die Inder — etwa wegen mangelnder Befähigung zu exacten Studien und Beobachtungen, wie Whitney anzunehmen geneigt ist — nicht im Stande gewesen sein sollten, ihren Kaksatra-Kreis selbst festzustellen; denn die Construction eines lunaren Zodiaks wie der indische, der sich in ganz regelloser Weise nach Norden und Süden von der Ekliptik entfernt und mit Sternbildern oder Abschnitten der Sphäre von völlig verschiedenem Umfang vorlieb nimmt, erfordert weder besondere Befähigung für theoretische Astro- nomie, noch genaue und lang fortgesetzte Beobachtung. Es lässt sich andrer-
I. Astronomie. — Vedische Periode. i 5
seits nicht verkennen, dass frühe schon die Einteilung der Sphäre in 2 7 oder 28 Naksatras eine vollkommen conventioneile geworden ist, imd die meisten Bestimmungen über Dinge, die sich in den verschiedenen Naksatra ereignen, eine gänzlich theoretische ist, wobei auf die wirklichen Vorgänge am Himmel gar keine Rücksicht genommen wurde. Dieser theoretisirende, der Beobach- tung abgeneigte Zug spricht nicht gerade für die Annahme, dass die erste Bildung des Zodiaks selbständig von den Indern sollte unternommen worden sein. Dazu kommt die ganz auffällige Abwesenheit einer Kenntnis des ge- stirnten Himmels im allgemeinen in Indien. Während bei den anderen alten Völkern, die sich mit Astronomie abgaben (Chinesen, Babyloniern, Ägyptern, Arabern), wirkUche himmlische Sphären sich finden, d. h. eine Kenntnis der hauptsächlichen Sternbilder und Sterne des ganzen sichtbaren Himmels — aus welchen dann, sobald die Idee gefasst wurde, ohne viel Mühe die Sterne für einen Zodiak ausgewählt werden konnten — kennen die Inder nur die 27 oder 28 Naksatras und ausserdem eine ganz kleine Anzahl von anderen Sternen. — Die Hypothese des babylonischen Ursprungs des lunaren Zodiaks hat a priori viel für sich. Die Babylonier waren geschickte Astronomen von alten Zeiten an, und ihr Land liegt so central, dass die Mitteilung irgend welcher Kenntnisse oder Ideen von da nach Indien sowohl als nach China und Arabien gar nichts Unwahrscheinliches an sich hat. Leider aber haben die neueren Forschungen über altbabylonische Astronomie diese Hypothese keineswegs bestätigt; es erscheint klar, dass sich die Babylonier nur des zwölf- teiligen Zodiaks bedienten, und ge\visser einzelner Sterne der denselben con- stituirenden Sternbilder, deren Namen es deutlich machen, dass sie als Teile dieser 12 Sternbilder angesehen wurden. — Wenn man auf Grund der Art und Weise, in der die verschiedenen Nationen von den Stationen des Mondes Gebrauch machten, einer derselben die erste Erfindung des Systems zuschreiben wollte, so würde man sich wohl zu gunsten der Araber ent- scheiden. Die Araber allein machten von ihnen einen lebendigen Gebrauch, indem sie mit dem Frühaufgang ihrer 28 Menäzil die verschiedenen Phasen und Phänomene des Jahres in ^^erbindung brachten, ein Verfahren, das fort- gesetzte Beobachtung voraussetzt. Dazu kommt, dass die arabischen Menäzil sich viel genauer an die Ekliptik halten, als die entsprechenden Sternreihen der anderen Nationen. Da aber selbst die älteste arabische Litteratur, die uns das Bestehen der Menäzil bezeugt, als jung erscheint, verglichen mit z. B. den indischen Werken, die zuerst die Naksatras erwähnen, so reichen die oben erwähnten Umstände nicht hin, die Hypothese eines arabischen Ursprungs des ganzen Systems glaublich zu machen. Die ganze Frage ist noch eine offene.
Zum Ursprung des lunaren Zodiaks vgl. J. B. BiOT, Recherches sur l'ancienne Astronomie^ Chinoise (zuerst veröffentlicht im Journal des Savants 1839 u. 1840); derselbe, Etudes sur l'astronomie Indienne et l'astronomie Chinoise (eine Samm- lung von zuerst im Journal des Savants veröffentlichten Artikeln), siehe besonders p. 2l2ff. ; die oben genannten Abhandlungen Webers; derselbe, Zur Frage über die nakshatra, ISt. IXp. 424, und: Zur Frage über die nakshatra, ISt. Xp. 213; derselbe, Die Verbindungen Indiens mit den Ländern im Westen (Indische Skizzenj; derselbe, Über alt-iranische Sternnamen (Sitzungsberichte der Akad. der Wissenschaften zu Berlin 1888); Burgess-Whitney, Translation of the Sürya-Siddhanta (JAOS. vol. VI); Noten zum 8. Kapitel, und ebenda p. 467 ff.; Whitney, On the Views of Biot and Weber respecting the Relations of the Hindu and Chinese Systems of Asterisms (JAOS. vol.Vni}; derselbe, Reply to the Strictures of Prof. Weber upon an Essay respecting the Asterlsmal System of the Hindus, Arabs and Chinese (JAOS. vol. VIII); derselbe, The Lunar Zodiac (in Oriental and Linguistic Studies, 2. Series); E. Burgess, On the Origin of the Lunar Division of the Zodiac represented in the Nakshatra System of the Hindus (JAOS. vol.VIII); M.'vx Müller, nPreface« zum 4. Bande der ersten Auflage der grossen Ausgabe desKg-Veda; SEDiLLOT,Materiaux pour servir ä l'histoire comparee des Sciences mathematiques chez les Grecs et les Orientaux; Ricuthofen, China, vol. I;
1 6 III. Religion, weltuWissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u.s.w., Mathematik.
F. HoMMEL, Über den Ursprung und das Alter der arabischen vSternnamen und ins- besondere der Mondstationen (ZDMG. vol. 45); G. Thibaut, On the Hypothesis of the Babylonian Origin of the so-calied Lunar Zodiac (JASB. vol. 63).
§ 10. Vedische Periode. — Verwendung des Naksatra-Zodiaks. Ein solcher Zodiak lässt sich natürlich dazu verwenden, den Ort irgend eines der beweglichen Himmelskörper zu einer bestimmten Zeit anzugeben, der Sonne sowohl als des Mondes und der Planeten. Dies alles ist auch in Indien bis auf die heutige Zeit gebräuchhch. In der ältesten Litteratur aber erscheinen die Naksatras durchgängig nur mit dem Monde verknüpft (die erste direkte Beziehung der Sonne auf die Naksatras scheint die zu sein, welche in den oben erwähnten Stellen der Sämaveda-Sütras vorkommt). Wir haben hier erstens die Fälle, in denen es heisst, dass eine bestimmte Opferhandlung 'in' einem gewissen Naksatra vorzunehmen ist; dass z. B. das heilige Feuer »in Krttikäs« {krttikäsu) angelegt werden soll; dies bedeutet: »wenn der Mond mit Krttikäs in Conjunction ist«, anscheinend ohne Bezug auf irgend eine bestimmte Phase des Mondes. Wir haben nächstdem — und diese Fälle sind die zahlreicheren — Stellen, in denen Naksatras in bestimmter Beziehung auf die hauptsächlichsten Phasen des Mondes, d. i. Neumond und Vollmond, er- scheinen, und zwar hauptsächlich auf den letzteren; es heisst z. B., dass ein Opfer stattfindet an ^tx phälgunJ paiirnamäs\ d. h. in der Nacht (oder an dem Tag), wann der Vollmond in Phalgunyas stattfindet. Schon in den ältesten Denkmälern, die diesen Gebrauch der Naksatras bezeugen, finden sich nur zwölf von den 27 Naksatra-Namen in dieser Weise mit dem Vollmond ver- bunden; es hatte sich also schon damals ein festes System von lunaren Monatsnamen ausgebildet, abgeleitet von den Naksatras, in denen der Mond in jedem Monate voll wird. In dem älteren Gebrauch erscheinen diese Namen nicht selbständig, sondern nur in adjektivischer Form in Verbindung mit paurnajnäsi oder atnävasyä^ oder so, dass paurnamäsi zu ergänzen ist; z. B. phälginn paii?viainäsJ; phälguny amävasyä (was bedeutet »der Neumond des Monates, in welchem der Mond in Phalgunyas voll wird«); astaniyäm phäl- gumsiiklasya d. h. in der achten Nacht (= Tag) der lichten Monatshälfte, welche dem Vollmond in Phalgunyas vorausgeht. Bald aber werden ent- sprechende selbständige Monatsnamen gebildet, phälgima, caitra etc., welche bis auf die Gegenwart im Gebrauch gebHeben sind und, obwohl ursprünglich nur auf lunare Monate angewendet, secundär auch auf die solaren Monate (Zwölf-Teile des Sonnenjahres) übertragen worden sind, ein Verfahren, das durch den Charakter des indischen Jahres — als eines gebundenen Mond- jahres, in welchem sich periodisch Einklang zwischen Sonnen- und Mondzeit herstellt — möglich gemacht wird.
Eben auf Grund dieses Umstandes, dass augenscheinlich schon in der Brähmana-Periode auf irgend welche Weise Einklang zwischen Sonnen- und Mondzeit erhalten wurde, erhebt sich nun die Frage, ob sich nicht aus dem System der von den VoUmond-Naksatras gebildeten Monatsnamen ein Schluss machen lasse auf die Zeit, in der sich dieses System zuerst ausbildete. Was hier sofort auszuschliessen ist, ist der Gedanke, dass sich aus dem Faktum der Auswahl von 1 2 bestimmten Naksatras zum Behuf der Namengebung (mit Ausschluss der anderen 15) irgend ein Resultat ergeben könne. Der Mond wird weder, noch wurde er in irgend einer Periode gerade nur in diesen Naksatras voll, sondern Vollmond findet in allen Naksatras statt, in fortwährend wechselnden und sich periodisch wiederholenden Reihenfolgen; die Auswahl der 1 2 Naksatras war daher eine willkürliche, natürlich in gewissen Schranken gehalten durch die Rücksicht auf im ganzen gleiche Abstände. Dagegen verdient die Frage in Erwägung gezogen zu werden, was sich etwa aus der
I. Astronomie. — Vedische Periode. i 7
Verbindung bestimmter Vollmond-Naksatras mit den Jahreszeiten erschliessen lassen möchte. Diese Frage ist, in einer besonderen Fassung, schon seit dem Anfang der europäischen Sanskritstudien behandelt u'orden, nämlich im An- schluss an die im Jyotisa-Vedähga und ähnlichen Werken enthaltene Angabe
— von welcher Varäha-Mihira zuerst bestimmt erklärt, dass sie sich mit den Verhältnissen der Gegenwart nicht mehr im Einklang befinde, — dass die Sonne ihren nördlichen Gang von dem Anfang des Naksatra Sravisthäs be- ginnt. Über das Jyo.Ved. wird unter unserer zweiten Periode berichtet werden; hier müssen wir soviel vorausnehmen, dass dies kleine metrische Werk die Stellung eines autoritären astronomischen Hilfsbuches einnimmt, nach dessen Regeln die richtigen Zeiten für die Opfer zu berechnen sind. Seinen Lehren nach gehört das Werk in die vorgriechische Periode der indischen Astronomie und wird natürlich schon seit vielen Jahrhunderten nicht mehr praktisch be- nutzt, ist aber aus seiner nominellen Stellung als »Vedähga« nie durch andere Werke verdrängt worden. Über seine Ursprungszeit können wir nur vermuten, dass es in der Periode entstand, als das Bedürfnis sich geltend machte, alles auf das Opfer Bezügliche in möglichst festen und concisen Regeln auszuarbeiten, also in der Sütraperiode und zwar — nach seiner Form zu schliessen — gegen das Ende dieser Periode; und es mag daher als der Vertreter der Ansichten über Sonnen- und Mondlauf und Anordnung des Kalenders angesehen werden, die sich im Laufe der Sütraperiode in den Priestergemeinden befestigt hatten. Dass sich das Alter des Vedähga selbst aus der obigen Angabe der Lage der Solstizien erschhessen lassen sollte, sind wir nicht berechtigt anzunehmen, denn solche Angaben pflanzen sich traditionell fort und erhalten sich in Ansehen lange, nachdem sie aufgehört haben richtig zu sein. Es mag hier darauf verwiesen werden, dass noch zur Zeit Varäha- Mihiras im 6. nachchristlichen Jalirhundert ein Paitämaha-Siddhänta in Geltung war, der genau die erwähnte Angabe über die Lage der Solstizien enthielt. Aber es ist wenigstens wahrscheinlich, dass die ursprüngliche Angabe aus einer Zeit stammt, in der die wirklichen Verhältnisse ihr einigermassen entsprachen. Die Schwierigkeiten aber, die einer Ermittlung jener, Zeit im Wege stehen, sind gross. Wo haben wir uns den Anfang von Sravisthäs vorzustellen? Der feste Punkt, den uns die spätere Astronomie der Inder für solche Be- rechnungen an die Hand gibt, ist, dass in der Periode der Siddhäntas — und bis auf die Gegenwart herab — die Teilung des Zodiaks in Naksatras von
— oder von einem Punkte ganz nahe bei — dem kleinen Sterne C Piscium ausgeht; es endet hier das Naksatra RevatI und beginnt das Naksatra Asvinl. Wir können daher, von diesem Punkte aus rechnend, bestimmen, wo der Anfang des Naksatra Sravisthäs liegt und können dann mit Hilfe unserer Kenntnis des Wertes der Präcession leicht berechnen, um welche Zeit das Wintersolstitium an letzterem Punkte lag; schon die früheren Forscher im Gebiete der indischen Astronomie haben, in dieser W^eise vorgehend, die in Rede stehende Bestimmung dem 12. vorchristlichen Jahrhundert zugeschrieben. Es ist nun aber schon seit langem darauf hingewiesen worden, dass es höchst misslich scheint, sich des von den Siddhäntas anerkannten Ausgangspunktes zu bedienen, wo Bestimmungen aus viel früheren Jahrhunderten in Frage kommen. Es ist nicht zweifelhaft, dass der kleine Stern r Piscium zum An- fangspunkt der Sphäre erhoben wurde um die Zeit, als er mit dem Punkte des Frühlingsäquinoctiums zusammenfiel, d. h. etwa im Laufe des 6. nach- christlichen Jahrhunderts; dass er aber schon in einer früheren Periode, wo dieser Grund noch nicht vorlag, den Anfang von Asvinl gebildet haben sollte, ist sehr wenig wahrscheinlich; und der erste Punkt dieses Naksatra Hesse sich mit viel grösserer Plausibilität mehr nach Osten, nahe bei den beiden Sternen,
Indo-arische Philologie. III, 9. 2
1 8 in. Religion, weltl.Wissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u.s.w., Mathematik,
welche Asvim ausmachen, ansetzen. Weiter aber ist zu bedenken, dass wirk- lich gar kein Grund vorliegt, bei der Angabe des Jyo. Ved.*,über den Ort des Wintersolstizes überhaupt AsvinI in Betracht zu ziehen; da" sich diese Angabe direkt auf Sravisthäs bezieht, scheint es jedenfalls geratener, sich an dies Sternbild zu halten. Wann der Punkt des Solstizes etwa mit dem Mittelpunkt dieses Sternbildes gleiche Länge hatte, lässt sich ohne Mühe be- stimmen; aber hier müssen wir uns wieder fragen, ob denn die Leute, von denen die Angabe herrührt, überhaupt daran dachten, ausserhalb der Ekliptik liegende Constellationen vermittelst von dem Pole der Ekliptik ausgehender Kreise auf die Ekliptik zu beziehen, und ob, wenn sie daran dachten, sie im Stande waren, dies mit irgend welcher Genauigkeit zu thun. Dass wir über- haupt mit dem Sternbild Sravisthäs in dieser Weise operiren dürfen, ist ein weiterer zweifelhafter Punkt; denn es ist ganz klar, dass das Vedähga und ähnliche Texte unter ihren Naksatras künstliche Abteilungen der Sphäre von gleichem Umfang verstehen, und der »Anfang« eines Naksatra mag demnacli einen ganz beträchtlichen Abstand in Länge von dem Sternbild gehabt haben. Dazu kommen dann schliesslich noch die Schwierigkeiten einer irgendwie ge- nauen Bestimmung des Ortes des Wintersolstizes in jener alten Zeit, als sich eine wissenschaftliche Astronomie noch nicht entwickelt hatte. Ziehen \\-ir all dies in Betracht, so können wir nicht umhin, mit ^^'HITXEV zuzugestehen, dass die Bestimmung des Solstizes in Jyo. Ved, möglicherweise ein halbes Jahr- tausend früher oder ein halbes Jahrtausend später gemacht sein worden mag als im 12. vorchristlichen Jahrhundert,
Es ist jedoch ein anderer Umstand vorhanden, der eine ungefähr auf das 12. Jahrhundert v. Chr. führende Berechnung in gewisser Weise bekräftigt. Wie zuerst von A. Weber gezeigt, findet sich im Kau.sltaki-Brähmana die Angabe, dass die Sonne am Neumonde des Monats Mägha stille stellt, um sich dann nach Norden zu wenden. Dies stimmt nun ganz mit der An- gabe des Jyo. Ve. über den Ort des Solstizes überein; denn am Neumond, der dem Vollmond in Maghäs vorausgeht, befindet sich die Sonne eben am Anfang von Sravisthäs, Dies macht wahrscheinlich, dass die Beobachtung des Solstizes schon in der Brähmanaperiode gemacht wurde; und da mm aus Gründen, die mit astronomischen Berechnungen nichts zu thun haben, und die wir als litterarisch-chronologische bezeichnen können, die Brähmanaperiode sehr wohl als das 12, vorchristliche Jahrhundert einschliessend angenommen werden darf, so haben wir eine Art von allgemeiner Übereinstimmung zwischen zwei unabhängigen Schlussweisen, welcher ein gewisser Wert sich nicht ab- sprechen lässt. — Es erhebt sich nun hier die weitere Frage, ob nicht auch andere vedische Stellen, die direkte oder indirekte Angaben über das Ver- hältnis von gewissen Stellungen des Mondes im Kreise der Naksatras zu den Jahreszeiten enthalten, zur Bestimmung des Alters der Texte oder der Zeit, wann die betreftenden Angaben zuerst gemacht wurden, sich verwenden lassen. Schon CoLEBROOKE hatte die Ansicht geäussert, dass, was aus den Naksatra- Namen sich ergibt, sich ganz wohl mit der besprochenen Bestimmung des Ortes des Wintersolstizes vereinigen lässt. Die ganze Frage nach der astro- nomischen und chronologischen Bedeutung der vedischen Angaben über kalen- darische Dinge ist seit einigen Jahren der Gegenstand lebhafter Erörterungen gewesen, hervorgerufen durch die von Bäl Gangädhar Tilak und H. Jacobi aufgestellte Behauptung, dass die Beobachtungen, welche einigen dieser An- gaben zu Grunde liegen, auf drei bis vier Jahrtausende vor Christus zurück- gehen; der erstere Gelehrte sucht für einige dieser Beobachtungen sogar das Alter von 6000 Jahren v, Clir. zu vindiciren. Diese Theorien wurden von anderen lebhaft bestritten, die zugleich versuchten, ähnlich wie Colebroüke
I. Astronomie. — Miitlere Periode. 19
aber auf einer breiteren Basis, positiv nachzuweisen, dass alles, was dieBrähmanas über Monate, Jahreszeiten, Jahresanfänge u. dgl. zu sagen haben, sich ganz wohl mit der Periode vereinigen lässt, auf welche die besprochene Lage des Wintersolstizes hinweist. Eine Ausnahme wäre dabei möglicherweise zu machen mit dem Faktum, dass die alten Aufzählungen der Naksatras mit Kittikäs beginnen, falls nämlicli diese Anordnung darauf beruhen sollte, dass Krttikäs als das Frühlingsäquinoctium bezeichnend angesehen wurde^ analog dem Anfang der späteren Naksatrareihe mit Asvinl, welches in der Periode der ausgebildeten Siddhäntas nahe bei dem Frühlingsäquinoctium lag. Etwas Abschliessendes kann über alle diese Fragen noch nicht gesagt werden; und ich begnüge mich daher damit, in der Anmerkung auf den wichtigeren Teil der betreffenden Litteratur zu verweisen.
Über die von den Naksatras abgeleiteten Namen der Monate vgl. die genannten Abhandlungen von Weber über die Naksatras, sowie die zu § 9 aufgeführten Ab- handlungen Whitneys im JAOS; ferner den ersten Abschnitt von SBD.'s Puch. — Über die Angabe des Jyo. Ve. betreffs des Ortes des Wintersolstizes und über die allgemeine Frage betreffs der astronomischen und kalendarischen Angaben der vedischen Texte und der daraus zu ziehenden chronologischen Schlüsse vgl. Cole- brookes Essay: On the Vedas As. Res. VIII (und die Anmerkungen WmTNEYs zu dem Wiederabdruck dieses Essays in Coi.ebrooke, Miscellaneous Essays, New Ed. Vol. I); die oben genannten Abhandlungen Webers undWnnNEVs über die Naksatras ; Weber, Über den Vedakalender Namens Jyotisham (Abhandl. d. Al<. d. Wiss. zu Berlin 1862); eine Abhandlung Whitneys JRAS., New Series Vol. I ; BioT, ttudes sur l'Astronomie Indienne et sur l'Astronomie Chinoise p. 241 ff j B. G. Tilak, The Orion or Researches into the Antiquity of the Vedas; Jacobi, Über das Alter des Rg-Veda, Festgruss an Rom (übers, ins Engl. Ind. Ant. XXIII); derselbe, Beiträge zur Kenntnis der vedischen Chronologie (Nachr. v. d. K. Ges. der Wissenschaften zu Göttingen 1894); WinxNEY, On a recent Attempt, by Jacobi and Tilak, to de- termine on astronomical Evidence the Date of the earliest Vedic Period as 4000 b.c. (Proc. AOS. 1894, wieder abgedruckt Ind. Ant. XXIVj; Bühler, Note on Prof Jacobi's Age of the Veda and on Prof Tilak's Orion (Ind. Ant. XXIII); Oldenberg, Der vedische Kalender und das Alter des Veda (ZDMG. Bd. 48); Jacobi, Der vedische Kalender und das Alter des Veda (ZDMG. Bd. 49); derselbe, Nochmals über das Alter des Veda (ZDMG. Bd. 50); G. Thibaut, On some recent Attempts lo determine the Antiquity of Vedic Civilization (Ind. Ant. XXIV); Oldenberg, Noch einmal der vedische Kalender und das Alter des Veda (ZDMG. Bd. 49); derselbe, Vedische Untersuchungen: 5. Zum Kalender und der Chronologie des Veda (ZDMG. Bd. 50); und .SBD, an verschiedenen Stellen des ersten Abschnittes seines Buches; derselbe, The Age of the .Satapatha Brähmana (Ind. Ant. XXIVj.
§11. Mittlere Periode. — Quellen und Dauer. — Unter der Astronomie der ersten Periode verstanden wir diejenige Summe von astrono- mischen Kenntnissen, welche wir als in den Kreisen bestehend annehmen müssen, in welchen die Brähmanas entstanden; dass auch ein Teil wenigstens der brahmanischen Sütralitteratur kein anderes astronomisches Wissen voraus- setzt, erscheint wahrscheinlich. Wenn wir nun von einer zweiten Periode der indischen Astronomie sprechen, so lässt sich dieselbe von unserer ersten nicht irgendwie scharf abgrenzen. Wir können nur die Thatsache constatiren, dass in einem Litteraturkreise, der viel weiter ist als die eigentlich vedische Litteratur und ausserdem im ganzen unzweifelhaft später, sich eine Summe von astro- nomischen und kosmographischen Ansichten herrschend vorfindet, welche sich von den eigentlich vedischen wesentlich unterscheiden und eine Art von ab- geschlossenem System bilden. In welchen Kreisen sich diese Ansichten zuerst ausbildeten, können wir nicht sagen; es ist nicht unmöglich, dass sie den brahma- nischen Gemeinden — aus denen die Brähmanas hervorgegangen waren — ursprünglich ferne standen. Jedenfalls aber hat sich die Weltanschauung, von der hier die Rede ist, allmählich über ganz Indien verbreitet und mag nicht mit Unrecht als die charakteristisch national-indische angesehen werden, während das System, das man gewöhnlich einfach als das indische bezeichnet —
2*
2 o III. Religion, weltuWissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u. s.w., Mathematik.
dasjenige nämlich, das uns im Sürya-Siddhänta und ähnlichen Werken vor- liegt — keine selbständige indische Schöpfung zu sein scheint. Der Zeit nach lässt sich, was wir die zweite Periode nennen, schwer abgrenzen; die ältesten litterarischen Denkmäler, die unter dem Einfluss der hierher gehörigen astro- nomischen Ansichten stehen^ sind wohl die alten buddhistischen Schriften und das Mahäbhärata; auch wird dazu ein Teil der brahnianischen Sütra- litteratur gehören, obwohl es uns zu der Bestimmung dieser Frage an der nötigen Evidenz fehlt. Auch die untere Grenze der Periode lässt sich nicht scharf bestimmen; wir können nur vermuten, dass etwa in den ersten Jahr- hunderten der christlichen Ära die charakteristischen Ansichten dieser Periode allmählich von der im Sürya-Siddhänta und anderen Siddhäntas dargestellten, weit vorgerückteren Lehre verdrängt ^\■urden. A.ls Varäha-Mihira im 6. Jahrhundert seine Pancasiddhäntikä schrieb, lag ihm noch, als eines der von ihm als fundamental betrachteten Werke, ein Siddhänta vor, der durchaus die An- schauungen unserer zweiten Periode repräsentirt. Das Jyotisa-Vedänga, das derselben Stufe angehört, hat sich bis auf die heutige Zeit officiell als »Ve- dähga« erhalten, obwohl es schon seit langer Zeit nicht mehr praktisch ver- wendet wird; und unter den Jainas hat die Sürya-Prajiiapti, welche in dem- selben Ideenkreise steht, bis auf unsere Tage eine ähnliche Stellung behauptet.
Das eben genannte Vedänga ist dieser seiner Stellung wegen das bestbekannte Werk, das diese Periode repräsentirt; es handelt aber nur von Zeitrechnung und ist seiner künstlich concisen Form wegen nur zum Teil ver- ständlich. Um einen Überblick über die Gesamtheit der astronomischen und küsmologischen Anschauungen dieser Zeit zu gewinnen, müssen wir mit dem Vedänga eine bedeutende Anzahl von teilweise sehr heterogenen Autoritäten verbinden: so zuerst die uns in Citaten erhaltenen Fragmente von Garga, Paräsara und ähnlichen Autoren, für die Bhattotpalas Commentar zur Brhat- Samhitä des Varäha-Mihira unsere hauptsächlichste Quelle ist; ferner die uns erhaltene Vrddha-Garga-Samhitä; das neuerdings aufgefundene Bruchstück des Pauskarasädin; den Naksatrakalpa und einige andere der Parisistas des Atharva- veda; das astronomische Textbuch der Jainas, die sogenannte Süryaprajhapti; die Darstellung des Inhaltes eines Paitämaha-Siddhänta, welche Varäha-Mihira im 12. Kapitel der Pancasiddhäntikä gibt; und die Kapitel des Mahäbhärata und der Puränas, welche das Weltgebäude beschreiben; überhaupt alle Stellen im Mahäbhärata und bei Manu, die sich auf Astronomisches und Kosmologisches beziehen. Dazu kommen schliesslich alle die Stellen in der älteren buddhi- stischen Litteratur, die von den oben genannten Dingen handeln, und — wie oben bemerkt — Stellen von analogem Inhalt in der brahnianischen Sütra- Litteratur. Es ist freilich schwer zu beurteilen, wie weit dieser Litteraturzweig unter dem Einflüsse des wohlgeschlossenen Systems steht, welches diese zweite Periode charakterisirt; wir haben gesehen, dass einzelne Sütren wenigstens auf einem entschieden älteren Standpunkt stehen. Im Ganzen sind die auf Astro- nomie und Kalenderwesen bezüglichen Angaben der Sütren so wenig voll- ständig und zusammenhängend, dass sie uns für unser Gebiet nur geringe Aufschlüsse geben. — Was sich aus Pänini, dem Mahäbhäsya und dem Nirukta an einschlägiger Belehrung gewinnen lässt, deutet auf dieselbe Periode hin.
Alle die eben aufgezählten Werke vertreten, in mehr oder weniger voll- ständiger Weise, ein und dasselbe System. Von einem System nämlich lässt sich hier sprechen, da wir es nun nicht mehr mit vereinzelten und sich ge- legentlich widersprechenden Ansichten zu thun haben, sondern mit einer Theorie, die, wie unvollkommen und phantastisch sie auch sein mag, doch zu einem wohlzusammenhängenden Ganzen ausgearbeitet ist. Nicht alle die genannten Werke enthalten die vollständige Theorie, aber wichtige Teile der-
I. Astronomie. — Mittlere Periode.
selben sind allen gemeinsam; und keines (mit wenigen besonders zu erwähnenden Ausnahmen) enthält Züge, die dem von uns angenommenen Ganzen wider- sprechen. Die in vieler Hinsicht vollständigste Auskunft gibt das astrono- mische Buch der Jainas. Im nächsten Abschnitt über die Kosmographie der Periode schliessen wir uns an dieses Werk und die Puränas an; das Jyotisa- Vedähga, gemäss seinem Charakter als Handbuch zur Berechnung des Kalenders, enthält nichts Bezügliches.
§ 12. Mittlere Periode. — Geographie. — Wir begegnen hier zu- nächst einer völlig entwickelten und bestimmten Ansicht über die Beschaffen- heit der Erde. Die Oberfläche der Erde bildet eine ungeheuere kreisrunde Ebene, in deren Centrum ein enorm hoher, Meru genannter, Berg liegt, auf dem die Götter wohnen. Rings um diesen Berg erstreckt sich kreisförmig derjenige Teil der Erde, in welchem die den Hindus bekannten Länder liegen, der sogenannte Jambu-dvTpa d. h. die Jambuinsel, so genannt von einem kolossalen Jambubaum, der auf einem südlichen Ausläufer des Meruberges steht. Von diesem Jambu-dvTpa bildet Vorderindien, der sogenannte Bharata- varsa, das südliche Viertel, während nördHch vom Meru der Airävata-varsa und östlich und westlich von demselben die beiden Hälften des Videha- varsa Hegen. Der Jambu-dvipa bildet eine Insel, da er rings vom salzigen Ocean umflossen ist. Jenseits dieses Oceans Hegen die sechs anderen dvTpas, die zusammen mit dem Jambu-dvTpa die Oberfläche der Erde ausmachen, alle in der Gestalt kreisförmiger, dem Meru concentrischer Ringe, die von ein- ander durch analog gestaltete ringförmige Meere getrennt sind.^ Diese dvipas heissen der Reihe nach Plaksa, Sälmala, Kusa, Krauiica, Säka, Puskara; die sie trennenden Meere bestehen der Reihe nach aus Zuckersaft, Wein, Ghl, saurer Milch, Milch, süssem Wasser. Der äusserste ringförmige Continent ist von einer Lokäloka genannten Bergkette umschlossen, bis zu welcher die Strahlen der Sonne reichen, und jenseits welcher sich ein ödes, ewig finsteres Land bis zur Schale des die ganze Welt umschliessenden Brahmaeies erstreckt. Dies Ei wird durch die beschriebene Oberfläche der Erde in zwei Hälften geteilt; in der unteren, unterirdischen, Hälfte liegen die Höllenregionen ipätäla). Die über der Erde gelegene Hälfte zerfällt in verschiedene Welträume {lokd), deren jeder als eine Scheibe des Eies aufzufassen ist. Von der Erde bis zur Höhe der Sonne erstreckt sich der Bhuvar-loka, von da bis zur Höhe des Polarsterns die himmlische Welt {svar-/oka), darüber der Mahar-loka, der Tapo- loka, und als höchster von allen der Satya-loka.
§ 13. Mittlere Periode. — Astronomie. — Über der Oberfläche der Erde bewegen sich die verschiedenen himmlischen Lichter [jyotis, jyotJmsi, meist vorgestellt als in ihren Wagen fahrende Götter) in parallel zur Erde liegenden Kreisbahnen um den Meruberg. Sie gehen nie wirklich auf und unter, sondern halten sich stets in der gleichen Höhe über der Oberfläche der Erde. Dass sie während eines Teiles der Tagnacht den Bewohnern des südHch vom Meru gelegenen Bharata-varsa nicht sichtbar sind, kommt davon, dass sie dann nördlich vom Meru stehen, welcher ihre Strahlen intercipirt; aber wenn sie für den Bharata-varsa verschwinden, gehen sie dem Airävata- varsa auf, und es ist folglich dort Tag, wenn es bei uns Nacht ist. Morgen wird es bei uns wieder, sobald die Sonne in ihrem Kreislauf an der Mitte der Ostseite des Meru angelangt ist. — Die Betrachtung der Umläufe der Himmelskörper um den Meru hat bei den Jainas zu einer ganz besonderen Modi- fication des Systems Anlass gegeben, welche vielfach als der charakteristische Zug ihrer Lehre erwähnt ward. Sie gehen nämlich von der Ansicht aus, dass im Laufe von 24 Stunden die Sonne — ebenso wie die anderen Himmels- körper — nur die Hälfte des Kreises um den Meru zurücklegen kann; dass also.
2 2 III. Religion, wf.ltl.Wissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u. s.w., Mathematik.
wenn die Nacht im Bharata-varsa zu Ende geht, die Sonne, deren Licht den vorhergehenden Tag gegeben hatte, erst im Nordwesten des Meru angekommen ist. Die Sonne, die zur selben Zeit thatsächhch im Osten des Ijharata-varsa aufgeht, kann daher nicht dieselbe Sonne sein, die am vorhergehenden Abend unterging, sondern ist eine zweite verschiedene Sonne, die aber für das Auge von der ersten nicht zu unterscheiden ist. Am Morgen des dritten Tages erscheint dann wieder die erste Sonne, die um diese Zeit die Südostecke des Meru erreicht hat u. s. w. Aus demselben Grunde nehmen die Jainas zwei Monde, zwei Reihen von Naksatras u. s. w. an. Alle himmlischen Körper werden so verdoppelt; da aber dem Bharata-varsa immer nur ein Glied jedes Paares erscheint und sich die beiden Glieder völlig gleich sehen, so wird da- durch nichts an den Phänomenen geändert.
Nächst dem Wechsel von Tag und Nacht sind es noch zwei weitere mit dem Sonnenlauf verbundene Phänomene, welche das System dieser Periode zu erklären versucht, nämlich die Thatsache, dass die Sonne sich je nach der Jahreszeit mehr oder weniger hoch über den Horizont erhebt, und die Verschiedenheiten in der Länge von Tag und Nacht. Das erstere Phänomen wird übereinstimmend dadurch begründet, dass während des Sommers die Sonne engere Kreise um den Meru beschreibt als im Winter und daher nörd- licher steht; der weiteste Kreis wird am Tage des Wintersolstizes beschrieben, der engste am Tage des Sommersolstizes. Der Durchmesser und die Peri- pherie der Kreise werden in der Süryaprajiiapti und den Puränas in Yojanas angegeben (wobei die numerischen Bestimmungen in den verschiedenen Büchern stark von einander abweichen und ohne wesentliches Interesse sind); und ebenso die Teile des JambudvTpa, über welchen die Sonnenbahn in den verschiedenen Jahreszeiten senkrecht liegt. — Das zweite Phänomen erklären die Puränas daraus, dass sich die Sonne im Sommer während des Tages langsamer und während der Nacht schneller bewege; die Tage sind daher lang und die Nächte kurz. Im Winter ist es umgekehrt; und zur Zeit der Äquinoctien bewegt sich die Sonne Tag und Nacht mit gleicher Geschwindig- keit. Nach der Süryaprajnapti, welcher die Annahme verschiedener Schnellig- keit während des Tages und der Nacht fremd ist, erscheinen die Tage im Sommer länger, weil die Kreise, welche die Sonne dann beschreibt, uns näher liegen und uns deshalb die Sonne an einem früheren Punkte ihrer Bahn sicht- bar wird und an einem späteren Punkte verschwindet, während im Winter die sich in entfernteren Kreisen bewegende Sonne nur während eines ver- hältnismässig kurzen Teils ihrer Bahn uns sichtbar bleibt. — Die vollständige Theorie von den Bewegungen der Sonne ist am genauesten und deutlichsten in der Süryaprajnapti ausgearbeitet, welche auch eine ähnliche Theorie der Bewegungen des Mondes gibt. Im ganzen ist dieses Werk unzweifelhaft das wichtigste aller Monumente der indischen Astronomie und Kosmographie in ihrer vorgriechischen Phase; dass die Jainas alle Himmelskörper verdoppeln, ist, wie schon oben angedeutet, ohne Belang und nimmt ihrer Darstellung nichts von ihrem Werte.
§ 14. Mittlere Periode. — Zeitrechnung. — Die Schriften dieser Periode stimmen ferner überein betreffs der Länge der Umlaufszeit von Sonne und Mond; es ist thatsächlich dieser Teil des Systems der am besten be- kannte und am meisten charakteristische, da er in allen Schriften dargestellt wird, während einige, wie besonders das Jyotisa-Vedähga, über die allgemeine Be- schaffenheit der Erde und des Weltgebäudes keine Auskunft geben. Die Lehre hier ist, dass fünf Sonnenjahre genau 67 siderische Umläufe des Mondes in sich enthalten, und dass jedes Sonnenjahr 366 Tage in sich begreife. Wir begegnen hier so zum ersten Mal der bestimmten Anerkennung eines Jahres,
I. Astronomie. — Mittlere Periode. 23
das mehr als 360 Tage enthält. Der Wert von 366 Tagen ist freilich ein höchst ungenauer; keine andere civilisirte Nation ist so lange bei einer so schlechten Bestimmung der Länge des Jahres stehen geblieben. Wie mit einem solchen Jahre der Kalender in auch nur leidlicher Ordnung erhalten werden konnte, ist schwer zu verstehen; es müssen wohl von Zeit zu Zeit gewaltsame Reformationen gemacht worden sein. Keines der in Rede stehen- den Werke enthält irgend welche Andeutung, wie etwa durch periodische Auslassung von Tagen der erwähnte Fehler verbessert werden könnte. Der Unterschied des tropischen und siderischen Jahres ist natürlich nicht bekannt; das anerkannte Jahr wird unbefangen als tropisch angesehen, indem es den ganzen Wechsel der Jahreszeiten in sich begreift; zugleich aber wird es be- stimmt dargestellt als auf der Wiederkehr der Sonne zu einem und demselben Sternbild beruhend und ist insofern siderisch. Dies Sternbild ist Sravisthäs (auch Dhanisthäs genannt), an deren erstem Punkte sich die Sonne im Augen- blicke des Wintersolstizes befindet und zu dem sie in genau 366 Tagen zu- rückkehrt. Die Tragweite dieses Datums ist oben erörtert worden; es mag hier noch einmal darauf hingewiesen werden, dass diese Bestimmung des Ortes des Wintersolstizes allen den genannten Werken gemeinsam ist und daher offenbar das Faktum einer allmählichen Verschiebung der Solstizien während einer langen Zeit völlig unbeachtet blieb. Das einzige Werk dieser Klasse, das sich von dem allgemeinen Vorurteil betreffs des Ortes des Solstizes emancipirt hat, ist die Süryaprajnapti, nach welcher das Wintersolstizium am Anfang von Abhijit liegt. — Fünf von diesen 366tägigen Jahren werden in eine Periode zusammengefasst, das sogenannte fünfjährige Yuga, aus dem Grunde, weil die resultirende Anzahl von 1830 Tagen in annähernd genauer Weise einer ganzen Anzahl von siderischen Umläufen des Mondes — näm- lich deren 67 — darstellt. Da während dieser 67 Umläufe des Mondes die Sonne genau 5 Umläufe vollendet, kommen Sonne und Mond 6 2 mal in Conjunction, und das Yuga befasst demnach 62 synodische Monate.
§ 15. Mittlere Periode. — Naksatras, Conjunctionen etc. — Ein weiteres Interesse gewinnen die Schriften dieser Periode dadurch, dass sie alle die Stellen im Umkreise der Naksatras angeben, an denen die Conjunctionen und ebenso die Oppositionen von Sonne und Mond, d. h. die Neumonde und die Vollmonde, stattfinden. Darauf bezügliche Regeln und Rechnungen bilden den Hauptinhalt des Jyotisa-Vedähga sowohl als der Süryaprajnapti. Da den Schriften dieser Periode die Unterscheidung von mittlerer und wahrer Be- wegung der Himmelskörper durchaus fremd ist, ergeben sich die gesuchten Örter durch ganz einfache Rechnungen, die unmittelbar auf den Grundelemen- ten des fünfjährigen Yuga basiren. Der ganze Rechnungspro cess und die daraus folgenden Resultate sind deutlich und umständlich in der Sü. Pr. dar- gestellt, während das Jyo.Ve. den Process in wenigen äusserst concisen Regeln zusammenfasst, die zum Teil noch nicht erklärt sind. Die Naksatra-Reihe dieser Periode ist wesentlich die der ersten Periode; doch ist auch hier nun alles vollständig und methodisch ausgearbeitet. Die Zahl der Naksatras er- scheint verschiedentlich als 27 oder 28 (mit Einschluss von Abhijit). Einige Werke, darunter das Jyo.Ve., erwähnen nur 27, welche alle als von gleichem Umfang betrachtet werden, ein jedes gleich dem 27. Teil der Sphäre. Andere Autoritäten erkennen ebenfalls 27 Naksatras an, aber eingeteilt in Klassen von verschiedenem Umfang; und andere wieder wissen von 28 Naksatras, die ebenfalls in Klassen von verschiedenem Umfang zerfallen: so z. B. die Sürya- prajiiapti. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Anerkennung eines 28. Naksatra damit zusammenhängt, dass der Überschuss des siderischen Monats über 27 Tage nun bestimmt realisirt wurde; und die Details wurden
24 in. Religion^ weltl.Wissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u.s.w., Mathematik.
jedenfalls in Verbindung mit der Lehre vom fünfjährigen Yuga ausge- arbeitet, aus welchem der Betrag dieses Überschusses genau abgeleitet werden kann. Dass einzelne Werke w'ie das Jyo.Ve. trotzdem nur von 27 Naksatras sprechen, ist kaum daraus zu erklären, dass ihnen die Reihe von 28 Gliedern unbekannt war, sondern einfach aus dem Wunsche, die Rechnungen zu ver- einfachen. So wendet ja auch schliesslich die spätere astronomische und astro- logische Litteratur im ganzen nur die 2 7gliedrige Reihe, an. Von Interesse in dieser Hinsicht sind Stellen in Bhäskaräcäryas Siddhänta-Siromani und Brahma- guptas Sphuta-Siddhänta, welche beide Systeme erwähnen und das 2 Steilige als das genauere bezeichnen, welches von den Rsis, Vasistha, Garga u. a., gelehrt worden sei (die uns bekannten Fragmente Gargas beziehen sich nur auf das 2 7 teilige System). Der Vorteil des 2 8 teiligen Systems ist, dass von den 27 gewöhnlichen Naksatras angenommen werden kann, dass sie durchschnittlich mit dem Monde je eine natürliche Tag-Nacht in Verbindung bleiben, während der Überschuss des siderischen Monates über 27 Tage der Verbindung des Mondes mit Abhijit zugeteilt wird: so z. B. nach der Sü. Pra. und auch nach Brahmagupta im Khandakhädyaka. Wo nur 27 Naksatras angenommen werden, fällt diese natürliche Verbindung weg; und jedes einzelne Naksatra bleibt dann mit dem Monde durchschnittlich etwas länger als eine Tagnacht in Conjunc- tion. — Wo aber ein ungleichmässiger Umfang der Naksatras überhaupt an- erkannt wird, finden wir anstatt des erwähnten Durchschnittsmasses die folgende Einteilung: sechs Naksatras {ro/iiin, punarvasu, uttara-phalgunl, visakhä, uttarä- sädhä, iittara-bhadrapadä) haben eine Ausdehnung, die dem normalen Masse vermehrt um seine Hälfte entspricht, sechs eine solche, die der Hälfte des normalen Masses gleichkommt {bharani, ärdrä, äs'lesä, svätl^jyesthä, satabhisaj); die übrigen fünfzehn haben die normale Ausdehnung. Diese Einteilung findet sich übereinstimmend bei Garga, im Naksatrakalpa, in der Sü. Pr. und bei Brahmagupta, und lässt sich so ziemlich mit dem vereinigen, was wir aus den astronomischen Werken der dritten Periode über die Ausdehnung der einzelnen Naksatra-Sternbilder erschliessen können. Für andere Einteilungen der Naksatras — z. B. nach der Zeit des Tages oder der Nacht, zu welcher der Mond mit ihnen in Conjunction tritt (ein in der Sü. Pra. behandeltes Thema) — ist es schwieriger, eine rationelle Erklärung zu finden. Ebenso kann nur ein Teil der Angaben, welche die Sü. Pra. betreffs der Lage der Naksatras nördlich oder südlich von der Mondbahn macht, mit dem vereinigt werden, was die spätere Astronomie über diesen Punkt zu sagen hat. Die Zahlen der Sterne, welche die einzelnen Naksatra-Sternbilder ausmachen, finden sich bei verschiedenen Autoritäten dieser Periode genannt und stimmen im ganzen mit den späteren Angaben überein.
Es mag an dieser Stelle ein Wort über den allgemeinen Geist bei- gefügt werden, der sich in den astronomischen Bemühungen dieser Periode ausspricht. Nichts nämlich ist charakteristischer für diesen Geist, als die langwierigen Methoden und Regeln zur Berechnung der Örter von Sonne und Mond im Kreise der Naksatras, die sich in voller Ausführlichkeit in der Sü. Pra. auseinandergesetzt finden, während das Jyo.Ve. die Resultate in condensirter Form enthält. Die Annahme eines Jahres von 366 Tagen ist schon schlimm genug; man wird aber natürlich geneigt sein, der Mangel- haftigkeit der Beobachtungen in einer verhältnismässig frühen Periode einiges nachzusehen. Unser Urteil über die Annahme einer stets rekurrirenden fünf- jährigen Periode wird schliesslich davon abhängen, wie diese Annahme all- mählich modificirt und verbessert w'urde. Von solchen zu erwartenden Ver- besserungen ist nun aber einerseits gar nichts zu sehen; die fünfjährige Periode in ihrer ursprünglichen cruden Form scheint Jahrhunderte lang und in weiter
I. Astronomie. — Mittlere Periode. 2 5
Ausdehnung vorgeherrscht zu haben, bis sie schliessHch durch ein auf völhg anderer Grundlage beruhendes System verdrängt wurde. Und was schhmmer ist, die aus der Annahme eines fünfjährigen Yuga folgenden Einzelheiten wurden bis ins kleinste mit einer blinden Zuversicht und einem evidenten Wohlgefallen ausgearbeitet, welche in Anbetracht der völligen Bodenlosigkeit des ganzen Systems etwas geradezu Erschreckendes haben. Eine genaue Er- wägung der Geistesrichtung, aus welcher Werke wie das Jyo.Ve. und die Sü. Pra. hervorgegangen sind, kann nicht genug empfohlen werden sowohl denen, welche die wissenschaftliche indische Astronomie als ein auf vöUig nationalem Boden erwachsenes Produkt ansehen, als denen die zu glauben geneigt sind, dass man schon Tausende von Jahren vor der Epoche des Vedähga die Solstizien und Äquinoctien in Indien regelmässig und erfolgreich beobachtete, und dass die Resultate der späteren Beobachtungen systematisch dazu ange- wendet wurden, die der früheren zu verbessern.
§ 16. Mittlere Periode. — Zodiakus. — Es ist nicht unmöglich, dass einigen der Werke, die wir wegen ihres allgemeinen Charakters unserer zweiten Periode zurechnen müssen, schon die Einteilung des Zodiaks in zwölf Zeichen bekannt war. Direkte Evidenz hierfür liegt freilich nur im Mahäbhä- rata und in den Puränas vor, und die Kenntnis der Zeichen mag hier als ein späteres Element betrachtet werden, das um die Zeit eindrang, als die Puränas ihre uns gegenwärtig vorliegende Gestalt erhielten. Andrerseits liesse sich wohl annehmen, dass ein so ganz äusserliches und — von wissenschaft- lichem Standpunkte aus — unwesenthches astronomisches Element wie die Annahme von 12 Zeichen an Stelle der 27 Naksatras früher in Indien Ein- gang fand als der eigentlich wichtige und wissenschaftliche Teil westlicher Astronomie. Jedenfalls scheint es nicht geraten, auf das Vorkommen der zwölf Zeichen als eines wesentlichen chronologischen Kriteriums grossen Wert zu legen.
§ 17. Mittlere Periode. — Kalender. — Aus der oben beschriebenen Ansicht von Sonnen- und Mondlauf folgt von selbst der Charakter des Kalendersystems dieser Periode. Wie früher bemerkt, war wohl schon in der späteren vedischen Periode ein ähnliches System vorherrschend; aber in völlig klarer und durchgearbeiteter Form tritt es uns erst in den Schriften dieser Periode entgegen, am deutlichsten beschrieben in der Sü. Pra. und den Fragmenten Garga's. Die fünf Jahre des Yuga enthalten zusammen 62 syno- dische Monate, deren jeder 29'^/;! Tage lang ist. Der synodische Monat ist der einzige praktisch anerkannte; um aber dem Jahre theoretisch die von Alters anerkannte Zahl von 12 Monaten zu sichern, werden von diesen 62 Monaten zwei als überschüssig {adhika) behandelt und nicht gezählt; es sind dies der 31. und 62. Das Jahr wird ferner theoretisch in 12 Sonnenmonate {saiira mäsd) eingeteilt, von denen jeder den 12. Teil von 366 Tagen (= 30'/^ Tage) umfasst; der 30. von diesen Monaten geht zugleich mit dem 31. synodischen Monat zu Ende, so dass sich in der Mitte, ebenso wie am Anfang des Yuga, Sonnen- und Mondrechnung in voller Übereinstimmung befinden. Neben diesen beiden Arten von Monaten wird eine dritte beibe- halten, nämUch der einfach 3otägige Monat, gleich dem zwölften Teil des alten 36otägigen Jahres. Dies Jahr heisst nun das Sävana-Jahr, so genannt nach den Somapressungen {sava?ia), welche nach altvedischem Ritual durch 360 Tage fortgesetzt die grossen, ayana genannten, Jahresopfer constituiren; der 3otägige Monat heisst demnach ebenfalls Sävana. — Jeder synodische Monat von 29^^/31 Tagen wird weiterhin in 30 Teile von gleicher Länge ein- geteilt, die sogenannten Tithis oder lunaren Tage. Diese Einteilung, die, mit den durch die spätere vorgerückte Kenntnis des Sonnen- und Mondlaufs be-
20 IIL Religion, weltl.Wissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u.s.w., Mathematik.
dingten Modificationen, bis auf die Gegenwart festgehalten worden ist, macht den am meisten charakteristischen Zug des indischen Kalenderwesens aus; sie findet sich in dem Systeme keiner anderen Nation. Da der Tithi etwas kürzer ist als der natürliche Tag, fällt im Laufe der Monate der Anfang des Tithi weiter und weiter vor den Anfang des natürlichen Tages, bis sich nach Ablauf von 61 Tagen wieder Harmonie zwischen Mondtagen und natürlichen Tagen einstellt, indem der 62. Mondtag nach Anfang des 61. natürlichen Tages beginnt und zugleich mit diesem zu Ende geht. Es wird daher jeder 62. Tithi als überzählig behandelt und ausgelassen; solche Tithis heissen ksayäha oder loiarätra. In allen kalendarischen Rechnungen wird der Tithi, nicht der natürliche Tag, als Grundeinheit behandelt; und dies, zusammen mit dem System der Monatsrechnung, gibt zu einer eigentümlichen Methode Anlass, nach der man die Summe der Tage berechnet, die von einer be- stimmten Epoche an bis zu einem gegebenen Datum, d. h. dem Anfang eines gegebenen Tithi, verflossen sind. Diese Methode, um den sog. Ahargana, d. i. die Summe der abgelaufenen Tage, zu finden, ist später — in unserer dritten Periode — weiter ausgebildet und dadurch viel umständlicher geworden, dass die Zeitperioden, die man der Rechnung zu gründe legte, ungeheuer viel grösser waren als das fünfjährige Yuga. Es kann aber nicht bezweifelt werden, dass die Methode in dieser unserer zweiten Periode entstand, und das im Sörya-Siddhänta und ähnlichen Werken beschriebene Verfahren nur diejenige Erweiterung der alten Praxis darstellt, welche durch die spätere viel genauere Kenntnis des Sonnen- und Mondlaufes notwendig gemacht wurde. Da der Pro- cess in Verbindung mit der Darstellung des Sürya-Siddhänta beschrieben wer- den soll, genüge hier die Angabe, dass für ein gegebenes Datum zuerst die .\nzahl der von der Epoche an verflossenen Tithis berechnet wird, dann die der Summe der Tithis entsprechende Zalil von Ksayähas ermittelt wird, und man schliesslich durch Abzug dieser Zahl von der Summe der Tithis die An- zahl von abgelaufenen natürlichen Tagen feststellt.
S 18. Mittlere Periode. — Tageseinteilung, längster und kürzester Tag. — Die einzige allgemein angewandte Einteilung des Tages ist die in 30 Muhürtas oder 60 Nädikäs. Die Nädikä wird vielfach weiter ein- geteilt; es herrscht aber darin keine Übereinstimmung, sondern jedes einzelne Werk teilt in der Weise ein, die für die auszuführenden Berechnungen am bequemsten erscheint. Das Jyo. Ve. z. B. teilt die Nädikä in 10V20 Kala ein und erreicht damit den Vorteil, die Länge des natürlichen Tages und die Zeit, die der Mond in einem Naksatra verweilt, in ganzen Zahlen ausdrücken zu können (603 und 610 Kaläs). Garga teilt die Nädikä in 2'/i5 Lava ein und erhält so ganze Zahlen für die Dauer des Tithi, des natürlichen Tages und des solaren Tages (122, 124, 126 Lavas). Die Sü. Pr. andererseits be- schwert sich nicht mit irgend welchen feststehenden Teilen des Muhürta, sondern drückt alle vorkommenden kleinen Zeiträume einfach als Bruchteile des Muhürta aus. Ebenso scheint keine weitere feststehende Einteilung der Sphäre anerkannt zu sein, als die in 27 oder 28 Naksatras von gleicher oder ungleicher Ausdehnung. Die Sü. Pr. befolgt den einfachen Plan, den ganzen Umkreis der Naksatras in 8 19-7/5- Muhürtas einzuteilen, was die Länge des periodischen Monats darstellt, und jedes einzelne Naksatra in so viele Muhürtas zu zerlegen, als der Mond mit dem Naksatra in Verbindung bleibt.
Gemeinsam allen Werken dieser Periode ist die Ansetzung der Dauer des längsten und des kürzesten Tages auf je 18 und 12 Muhürtas und die Annahme, dass in den zwischen diesen zwei Tagen in der Mitte liegenden Perioden die Tageslänge täglich um denselben Betrag ab- oder zunimmt. Darauf, dass die Dauer des längsten etc. Tages in verschiedenen Teilen
I. Astronomie. — Mittlere Periode. 27
der Erde eine verschiedene ist, wird nirgends hingewiesen. Die thatsächlich angenommene Länge stimmt mit den wirkhchen VerhäUnissen derjenigen Gegenden überein, welche etwa unter dem 34. Breitengrade liegen; zu diesen gehört auch der nordwestliche Winkel Indiens. Die Vermutung, dass die Angabe eine von Babylon entlehnte sein sollte, ist wenig wahrscheinlich; jedenfalls müsste zuerst nachgewiesen werden, dass die erwähnten Werte wirk- lich von den Eabyloniern angenommen wurden.
§19. Mittlere Periode. — Planeten, Jupitercyklus. Fixsterne. — Die Kenntnis der 5 Planeten ist während dieser Periode allgemein verbreitet. Wenn sie in einigen der Hauptwerke wie z. B. dem Jyotisa-Vedähga gar nicht, und in anderen wie der Sürya-Prajiiapti nur ganz beiläufig erwähnt werden, so liegt dies daran, dass diese Werke sich nur mit dem beschäftigen, was für den Kalender nötig ist, also dem Lauf der Sonne und des Mondes. Es fehlt uns aber an irgendwie detaillierten Nachrichten über die nähere Kenntnis der Planetenbewegungen. Eine Hauptquelle für die astrologischen Aspekte der Planetenbahnen nach Ansicht dieser Periode ist die Brhat-Samhitä des Varäha- Mihira, deren ganze Lehre in dieser Beziehung auf älteren Autoritäten, unter ihnen in erster Linie Garga, beruht. Leider aber hat V. M., der als Astronom' ein Vertreter der folgenden unter griechischem Einfluss stehenden Entwick- lungsstufe ist, die astronomischen Ansichten der älteren Autoren — die er natürlich selbst nicht billigen konnte — ganz unberücksichtigt gelassen und durch die vorgerückteren seiner Periode ersetzt, so dass er die Überlieferung gerade in den Punkten, wo sie uns am meisten interessieren würde, fallen lässt. Wir besitzen zwar das Vrddha-Gärglyam; aber da alle Handschriften desselben höchst corrumpirt sind, ist es schwer, dieselben in astronomischer Hinsicht auszubeuten. Es scheint, dass man in dieser Periode annähernd richtige Ideen über die Umlaufszeit wenigstens der äusseren Planeten hatte; die Details be- treffs Venus und Merkur sind sehr schwer zu enträtseln. Den verschiedenen Phasen der retrograden Bewegung der Planeten, besonders des Mars, scheint bedeutende Aufmerksamkeit gewidmet worden zu sein. Von Jupiter war es jedenfalls bekannt, dass sein Umlauf ungefähr 12 Jahre beträgt; es beruht darauf die schon bei Garga erwähnte und von Varäha-Mihira ausführlich be- handelte zwölfjährige Jupiter-Periode. Dass diese Periode von zwei verschie- denen Gesichtspunkten aus angesehen und berechnet wurde, hat S. B. DTksit nachgewiesen, insofern nämlich als Jupiter einerseits in zwölf Jahren ungefähr einen siderischen Umlauf beschreibt und andrerseits in demselben Zeitraum ungefähr elfmal heliakisch aufgeht, so dass wir hier auch dem synodischen Umlauf des Planeten Aufmerksamkeit zugewendet finden. Auch der Umstand, dass die Annahmen, auf denen diese Jupiter-Perioden beruhen, nur annähernd richtig sind, und daher von Zeit zu Zeit Einschaltungen oder Auslassungen nötig werden, ist, wie es scheint, in dieser Periode beachtet und in Rechnung gezogen worden; doch ist es schwer, den Grad der hierin erreichten Genauig- keit zu bestimmen; und wir müssen uns hier wie in anderen Fällen hüten, dieser früheren Zeit Anschauungen und Lehren zuzuschreiben, die erst auf Grund viel weiterer astronomischer Kenntnisse möglich geworden sind. — Auch der bei Varäha-Mihira beschriebene und in den Werken der dritten Periode allgemein erwähnte 60jährige Jupitercyklus gehört seinem Ursprung nach dieser Periode an. Ein jedes Jahr desselben trägt einen eigenen Namen; und der ganze Cyklus zerfällt in 1 2 Lustren, dessen einzelne Glieder die Namen der Jahre des bekannten 5 jährigen Yuga tragen (Samvatsara, Parivatsara etc.). Es ist wohl anzunehmen, dass dieser 60jährige Cyklus daraus entstand, dass man eine zugleich den 12jährigen Jupitercyklus und das 5jährige Yuga in sich begreifende grössere Periode zu haben wünschte. Was oben über Ein-
2 8 in. Religion, weltl.Wissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u, s.w., Mathematik.
Schaltungen etc. im 12 jährigen Cyklus gesagt wurde, gilt auch für diese grössere Periode von 60 Jahren.
Von Fixsternen, die nicht zu den Naksatra-Gruppen gehören, hat die Astronomie dieser Periode, wie überhaupt die indische Astronomie, nur wenig zu sagen. Bekannt ist der grosse Bär, »die sieben Rsis«, über deren succes- sive Verbindung mit den einzelnen Naksatras die astrologischen Schriftsteller schwer verständliche Angaben machen, der Polarstern {dhniva), um den alle anderen Himmelskörper kreisen, und Agastya-Canopus, dessen Friihaufgang von Alters her Interesse erregt zu haben scheint. — Was Bücher wie die BHiat-Samhitä und die älteren Werke, auf die sich dieselbe stützt, über Kometen und Meteore zu sagen haben, ist absolut phantastisch und ohne alle astronomische Bedeutung.
S 20. Mittlere Periode. — Kaipas und Yugas. — Wir müssen schliesslich in dieser zweiten Periode den Ursprung der ungeheuer grossen Zeitperioden ansetzen, deren Anwendung in der darauf folgenden Periode die Form der Darstellung in allen astronomischen Lehrbüchern so wesentlich beeinflusst. Es erscheint hier nämlich der Gedanke der grossen Yugas imahäyugd) und Kaipas, von denen die ersteren je 4320000 Jahre umfassen, während 1000 solcher Perioden (um nur die einfachste Berechnung zu erwähnen) einen Kalpa bilden. Das Mahäyuga selbst zerfällt in vier Yugas von successiv abnehmender Länge und Vortrefflichkeit, das Krta-, Tretä-, Dvä- para- und Kali-yuga, deren relative Dauer durch die abnehmende Reihe 4, 3, 2, I dargestellt wird. Das Jahr, das hier die Grundeinheit bildet, wird als aus 360 Tagen bestehend beschrieben und steht sonach auf einer älteren Stufe als das sonst in der zweiten Periode angewandte Jahr von 366 Tagen. Die Beschreibung dieser Zeit-Abteilungen findet sich nicht in den rein astro- nomischen Werken der Periode, sondern bei Manu, im Mahäbhärata und besonders in den Puränas; erwähnt werden sie auch vielfach in der alten buddhi- stischen Litteratur. Ein eigentlich astronomischer Gebrauch wird von ihnen in (lieser Periode nicht gemacht; sie erscheinen hier einfach als Schöpfungen einer von dem Gedanken der Unermesslichkeit der Zeit ergriffenen Phantasie.
§ 21. Mittlere Periode. — Litteratur. — Über die hauptsächlichen Werke, auf denen die oben gegebene Darstellung der zweiten Periode beruht, mögen die folgenden litterarischen Angaben gemacht werden. — Das Jyotisa- Vedänga ist ein kleiner in Anustubh-Sloken abgefassterTractat, der in seiner dem Yajurveda zugehörigen Recension 43 Verse umfasst; die zum Rgvedä gehörende Recension, die vielfach abweicht, hat 3 6 Verse. Das Werk beschreibt die Consti- tution des fünfjährigen Yuga, wobei es hauptsächlich darauf ausgeht, die Stellen von Mond und Sonne an den Solstizien, Neu- und Vollmonden im Kreise der Naksatras direkt anzugeben oder Regeln zu deren l]erechnung aufzustellen. Es befleissigt sich dabei einer änigmatischen Kürze, und da zudem der Text vielfach sehr verderbt ist, ist ein bedeutender Teil des Werks noch nicht erklärt. Der Commentar Somäkara's dazu ist wertlos, enthält aber wichtige Citate. — Unter diesen sind die wichtigsten die aus Garga; es handelt sich dabei, wie es scheint, um ein rein astronomisches Werk dieses als alte Autorität für Astronomisches vielfach genannten Autors. Zwei längere Citate enthalten aus- führliche Belehrung über die während dieser Periode verwendeten Zeitmasse, über die Örter von Sonne und Mond an den Solstizien des fünfjährigen Yuga und über die Kalenderdaten der letzteren. Über die Zeit des Garga oder des Werkes, dem diese Citate entnommen sind, wissen wir nichts; es ist aber von Interesse, dass in einem höchstwahrscheinlich dem Garga entnommenen Citate bei Varäha-Mihira gesagt ward, dass die Yavanas eine gute Kenntnis der Astronomie besitzen. Dabei ist jedoch nicht zu vergessen, dass das, was
I. Astronomie. — Dritie Periode. 29
wir über die Lehren und Ansichten des Garga erfahren, keine Spur griechischen Einflusses zeigt, sondern ganz mit den Anschauungen dieser unserer zweiten Periode übereinstimmt. — Das Werk oder die Werke Gargas, dem die er- wähnten Citate angehören, waren jedenfalls verschieden von der wesentlich astrologischen Vrddha-Garga-Sarnhitä^ welche erhalten ist und weiter unten erwähnt werden wird. Doch enthält auch dieses Werk Angaben astronomischer Natur, besonders über die Planeten; aber wegen des sehr verderbten Zu- stands der Manuscripte sind sie noch wenig verwendet worden. — Die Sürya- prajnapti oder Sürapannatti ist das in MägadhT abgefasste astronomische Lehr- buch der Jainas, ein Werk von ziemlich bedeutendem Umfang, commentirt in Sanskrit von Malayagiri. Seinem Inhalte nach ist es insoweit dem Jyo.Ve. parallel, als es hauptsächlich darauf ausgeht, das fünfjährige Yuga mit seinen Unterabteilungen zu beschreiben und die Stellungen des Mondes und der Sonne in den verschiedenen Epochen desselben anzugeben; es gibt aber weiter eine Art physischer Theorie von den Bewegungen von Sonne und Mond und vielfache Belehrung über die Beschaftenheit der Erdoberfläche; alles dies fehlt im Vedänga völlig. — Von dem im 12. Kapitel seiner Paiicasiddhän- tikä behandelten Paitämaha-Siddhänta^ dessen Lehre durchaus die des Jyo. Ve. ist, sagt Varäha-Mihira , dass seine Berechnung des fünfjährigen Yuga von dem 3. Jahre der Saka-Ära ausgeht. Da V. M. für die Berechnungen nach den anderen Siddhäntas, von deren Lehren er einen Abriss gibt, als gemein- sames Ausgangsjahr Saka 427 festsetzt, so ist anzunehmen, dass Saka 3 vom Pait. Si. selbst als Anfangspunkt gebraucht wurde. — Alle wichtigen Puränas enthalten Abschnitte über die Beschaffenheit der Welt und den Lauf der hauptsächlichsten Himmelskörper, die vollkommen auf dem Boden der Anschauungen unserer zweiten Periode stehen. Die einzige Ausnahme ist, wie schon bemerkt, die gelegentliche Bezugnahme auf die Zeichen des Zodiaks neben den Naksatras. Was immer auch die Zeit der schliesslich en Redaktion der Puränas in ihrer jetzigen Form gewesen sein mag, die erwähnten Ab- schnitte haben jedenfalls ihrem Inhalte nach ein bedeutendes Alter. Als be- sonders wichtig sind zu nennen die betreffenden Kapitel des Väyu-Puräna, des Matsya-Puräna und des Visnupuräna (das- letzte zugänglich in Wilsons Übersetzung mit Fitz Edward Halls Anmerkungen).
A. Weber, Über den Vedakalender namens Jyotisham (Abhandl. d. Ak. d. Wiss. z. Berlin 1862 1; G. Thibaut, Contributions to the Explanation of the Jyotisha Vedänga (JASB. vol. 46); SED. p. 70 ff. — Die Citate aus Garga sind mitgeteilt in Webers eben erwähnter Ausgabe des Jyo.Ve. Vgl. A.Weber, Über die Aufzählung der vier Zeit- maasse bei Garga find. St'ud. IX). — A.Weber, Über den auf der Königl. Bibl. zu Berlin befindlichen Codex der Süryaprajhapti (Ind. Stud. X); G. TmBAUT, On the Süryaprajiiapti (JASB. vol. 49) — Über den Paitämaha-Siddhänta vgl. Einleitung zu Thi- BAITS und SUDHÄKARA DviVEDls Ausg. d. Paficasiddhäntikä; SED. p. 151. — Überdas olien erwähnte Fragment des Pauskarasädin vgl. R. HoERNLE, The Weber MSS. (JASB. vol. 621. — Angaben über die allgemeine Beschaffenheit der Welt und der Erde finden sich in den Puränas und der Süryaprajnapti; dieselben Werke beschreiben den Modus der Umläufe der Himmelsköq^er. Ausführliche Angaben über die Nak.^atras finden sich in der Sfl. Pra. und dem Naksatrakalpa. Fast alle angeführten Werke beschreiben oder berühren das fünfjährige Yuga, besonders das Jyo.Ve., die Fragmente Gargas und die Sü. Pra. — Über Naksatras von ungleichem Umfang^ vgl. den ersten Teil von W' EBERS Abhandlung über die Xak.satras p. 309 ff., und S. B. Diksit, The Twelve- Year Cycle of Jupiter (Coip. Inscr. Ind. Vol. III). — Über die zwölf- und sechzig- jährigen Jupitercyklen geben alle Werke über indische Chronologie Auskunft; vgl, ferner über den ersteren die eben erwähnte Arbeit S. B. Dik.sits und über den letzteren F. KmLHORN, The Sixty-Year Cycle of Jupiter (Ind. Ant. XVIII). S 22. Dritte Periode. — Charakteristik. — Was wir als die dritte Periode bezeichnen, umfasst alle die Werke, welche man gewöhn- lich im Auge hat, wenn man von indischer Astronomie spricht, und unter denen der Sürya-Siddhänta möglicher Weise das älteste und zugleich im
30 ni. Religion, weltl.Wissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u.s.w., Mathematik.
ganzen wichtigste ist. Was die Werke dieser Periode oder Klasse von den bisher besprochenen bestimmt unterscheidet, ist der verhältnismässig weit entwickelte Charakter des astronomischen Wissens, welches sie darstellen. Während die Werke der vorausgehenden Periode einen im Ganzen durchaus phantastischen Charakter tragen, und die Anzahl der in ihnen annähernd richtig bestimmten Elemente eine sehr geringe ist, so dass sich mit ihrer Hilfe nur ganz wenige Phänomene irgendwie berechnen lassen, haben wir in der dritten Periode mit Werken zu thun, denen ein wissenschaftlicher Charakter nicht abgesprochen werden kann. Das phantastische Element der früheren Weltansicht ist hier in der Hauptsache ausgetilgt; es erscheinen ge- wisse gesunde Fundamentalanschauungen und Begriffe, und der ganze Gesichts- kreis der Astronomie ist ungeheuer erweitert. Zahlreiche Elemente finden sich mit grosser annähernder Genauigkeit bestimmt; und es lassen sich nach ihnen viele astronomische Berechnungen ausführen, von denen die vorher- gehende Periode keine Ahnung gehabt hatte. Das System, das sich uns hier darstellt, hat sich von Anfong dieser Periode bis zur heutigen Zeit in Indien erhalten, ohne wesentliche Modificationen zu erleiden; und es lässt sich daher ein Abriss desselben geben, der so ziemlich der ganzen astronomischen Litte- ratur der Periode gerecht wird.
Alle die hier einschlägigen ^Verke lehren, dass die Erde eine frei im Raum schwebende, sich nicht bewegende Kugel ist, und sie haben annähernd richtige Ideen von den Dimensionen dieser Kugel; sie benennen ihre Pole und den Äquator. Sie lehren, dass sich Sonne, Mond, Planeten und Sterne in kreisförmigen Bahnen um die Erde bewegen, die Sphäre der Sterne in einem siderischen Tage, die Sonne in einem natürlichen Tage u. s. w. Dass Sonne, Mond und Planeten ihre Lage in Bezug auf die Sterne ändern, leiten sie daraus ab , dass sie sich langsamer bewegen als die letzteren. Von den sich daraus ergebenden siderischen Umläufen von Sonne, Mond und Planeten werden Bestimmungen von grosser annähernder Genauigkeit gegeben. Es werden ferner die wahren Bewegungen der Himmelskörper von den mittleren unterschieden, und zur Erklärung des Unterschieds die Hypothesen von Epi- cyklen sowohl als von excentrischen Kreisen beigezogen; der Betrag der Unter- schiede wird ziemlich genau angegeben. Für die Planeten werden die zwei Ungleichheiten richtig auseinandergehalten und besonders berechnet. Ebenso werden die Veränderungen in der Breite der Planeten beachtet und berechnet. Die Lage der Himmelskörper wird sowohl nach der Ekliptik als auch nach dem himmlischen Äquator bestimmt; der Betrag der Neigung dieser beiden Kreise zu einander ist bekannt, ebenso das Vorrücken der Äquinoctien. Man kennt ferner die Neigung der Mondbahn zur Ekhptik und die Periode des Umlaufs der Mondknoten und ist daher im stände, Anleitung zu geben zur Berechnung von Mondfinsternissen und auch — mit Beachtung der Parallaxen — von Sonnenfinsternissen. Alle Werke dieser Periode haben ferner eine und dieselbe feststehende Zeiteinteilung von sexagesimalem Charakter und bedienen sich zur Anwendung ihrer Principien auf astronomische Berechnungen einiger einfacher Sätze der ebenen Trigonometrie und einer mit bedeutender Genauigkeit be- rechneten Sinustafel, die von 225' zu 225' fortschreitet. Die Einteilung der Sphäre in 27 Naksatras ist nicht aufgegeben; daneben aber erscheint als das vorwiegende System die Einteilung in die uns bekannten zwölf Zeichen des Zodiaks, mit ihrer Unterabteilung in Grade, Minuten und Sekunden.
Die Quellen der Belehrung über das astronomische System der dritten Periode sind zahlreich, da seit dem Anfange der europ.äischen Sanskritstudien der in- dischen Astronomie vielfache Aufmerksamkeit zugewendet worden ist. Es kann hier nur auf einige der wichtigsten Werke hingewiesen werden. — In erster Linie ist zu nennen die Übersetzung des Sürya-Siddhänta durch Burgess-Whiinev (J.\0S. Vol. VI), deren umfängliche Noten eine vollständige Erklärung und kritische Erürte-
I. Astronomie. — Dritte Periode. 31
rung aller hauptsächlichen Processe der indischen Astronomie ^ enthalten. Nächst dem die Übersetzung des Golädhyäya von Bhäskaras vSiddhänta-Siromani durch WiL- KixsoN und Bäpu Deva Sästrin (Bibl. Ind.). — Unter den zahlreichen Darstellungen indischer astronomischer Methoden, die sich nicht auf bestimmte Texte beschränken, mögen genannt werden S. Davis' immer noch sehr lesenswerter Aufsatz »On the Astronomical Computations of the Hindus« im 2. Bande der Asiatic Researches; die betreffenden Kapitel in Warrens Kälasamkalita; Baillys Astronomie Indienne; das Kapitel über orientalische Astronomie in Delambres Astronomie Ancienne und die verschiedenen Arbeiten J. B. BiOTs über indische Astronomie, besonders die Etudes sur l'Astronomie Indienne.
§ 23. Dritte Periode. — Hauptquellen. — Als grundlegende Werke dieser Periode dürfen vier sogen. Siddhäntas angesehen werden. Varäha-Mihira, der im 6. Jahrhundert unserer Ära eine Übersicht über die damals anerkannten astronomischen Hauptwerke gab, macht fünf solcher namhaft; von diesen gehört aber eines, der Paitämaha-Siddhänta , seinem Charakter nach völlig unserer zweiten Periode an und ist deshalb von uns schon oben erwähnt worden. Von einem der weiteren vier Siddhäntas, dem Väsistha-Siddhänta, könnte gesagt werden, dass er eine Übergangsstellung ein- nimmt; seine Lehre ist jedoch so weit über die der zweiten Periode vorge- schritten^ dass er am besten der dritten Periode zugerechnet wird. Die drei anderen sind der Paulisa-, der Romaka- und der Saura-(Sürya-)Siddhänta. Wir betrachten hier zuerst den letzteren, obwohl wir durchaus nicht bestimmt sagen können, dass er der älteste von den vier Siddliäntas ist. Er ist aber das eigentlich typische Werk der neuen Entwicklungsstufe und hat sich bis auf die Gegenwart in Ansehen und Einfluss behauptet, während die drei anderen Werke schon frühe in Vergessenheit geraten zu sein scheinen. Dazu kommt, dass der S.S. uns vollständig vorHegt, wenn schon in einer Form, die von der dem V. M. bekannten vielfach abweicht, während wir für die drei anderen Siddhäntas fast gänzlich auf die in der Pai^icasiddhäntikä ge- gebene höchst concise — und teilweise noch unerklärte — Darstellung ihrer Lehren angewiesen sind.
Über die Stellung der grundlegenden Siddhäntas vgl. die Einleitung zur Aus- gabe der Pancasiddhäntikä (s. u.) und die betreffenden Abschnitte von S. B. Diksits Buch; ebenfalls Kerns Einleitung zu seiner Ausgabe von V. M.s Brhat-Samhitä, obschon über diese ganzen Fragen erst das Bekanntwerden der P. S. Licht ver- breitet hat.
§24. Dritte Periode. — Sürya- Siddhänta. — Der Sürya-Siddhänta in der auf uns gekommenen Gestalt ist ein in Anustubh-Sloken abgefasstes Werk in vierzehn Kapiteln. Die folgende Übersicht über den Inhalt der einzelnen Kapitel mag zugleich als eine alles Wesentliche berührende Über- sicht über das ganze astronomische Wissen der Inder von Anfang der dritten Periode bis auf die heutige Zeit angesehen werden. Die Darstellung folgt der Ordnung der Kapitel, nur dass unter dem ersten Kapitel einiges von dem Inhalt des zweiten vorausgenommen wird.
Der erste Abschnitt — madhyamädhikära — handelt zunächst von der Einteilung der Zeit. Der siderische Tag wird in 60 Nädikäs eingeteilt, jede derselben in 60 Vinädikäs; und es werden dann Definitionen ge- geben vom siderischen, bürgerlichen {sävana), lunaren und solaren Monat, Unterscheidungen, die uns schon teilweise aus der früheren Periode bekannt sind. Neu ist hier der siderische Tag in der Bedeutung der Zeit der Um- drehung der Sternsphäre um die Erde, und der siderische Monat als 30 solcher Umläufe umfassend; neu ist ebenfalls die Weise, in der die solaren Monate von dem Eintritt der Sonne in die Zeichen des Zodiaks abhängig gemacht werden. Zwölf solare Monate bilden ein Jahr, und in der Weise der Puränas 4320000 solcher Jahre ein grosses Weltalter {maJiäyuga), welches in 4 un-
3 2 ni. Religion, weltl.Wissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u. s.w., Mathematik.
gleiche Teile zerfällt, indem die ersten 4 Zehntel das Krtayuga bilden, die nächsten 3 Zehntel das Tretäyuga, die folgenden 2 Zehntel das Dväparayuga und das letzte Zehntel das Kaliyuga. Tausend Mahäyugas bilden ein Kalpa oder Äon, welches wieder in 14 sog. Manvantaras »andere Manus« zerfällt (indem für jede dieser Perioden ein neuer Manu entsteht), von denen jedes 71 Mahäyugas umfasst; die 6 übrig bleibenden Mahäyugas verteilen sich auf die die Manvantaras von einander trennenden sog. Dämmerungen {sandhya). Am Ende eines jeden Kalpa tritt eine allgemeine Zerstörung der Welt ein, auf welche eine neue Schöpfung folgt. Die Himmelskörper — Sonne, Mond, Planeten und Fixsterne — kreisen um die Erde von Ost nach West in einem Tage, die Sterne in einem siderischen Tage, die anderen Himmelskörper in etwas längeren Tagen, da sie sich weniger schnell als die Sterne bewegen; sie fallen daher allmählich hinter die Sterne zurück, und es entsteht so das Phänomen ihrer Umläufe durch die gestirnte Sphäre. Als Anfangspunkt der — in Zeichen, Grade, Minuten und Sekunden eingeteilten — Umläufe gilt das Ende des Naksatra Revati (gleich dem Anfang von AsvinI). Die Länge der Umlaufszeiten wird nicht direkt angegeben, sondern in der Weise, dass gesagt wird, wieviel ganze Umläufe durch die siderische Sphäre der Himmels- körper in einem Mahäyuga vollendet. Was wir unter den siderischen Um- läufen von Sonne, Mond, Mars, Jupiter und Saturn zu verstehen haben, ist nach obigem klar. Anders verhält es sich mit Merkur und Venus, als deren mittlere Örter von den Indern, übereinstimmend mit den Griechen, die mittleren Örter der Sonne angesehen werden, so dass die Zahl der mittleren Umläufe der beiden Planeten der der Sonne gleich ist. Die Thatsache, dass Merkur und Venus, während sie sich stetig in der Nähe der Sonne halten, bald im Westen und bald im Osten derselben erscheinen, sich ihr nähernd oder sich von ihr entfernend, schreibt der S. S. dem Einfluss unsichtbarer, als Formen der Zeit bezeichneter, Wesen zu, die selbst den Zodiak durchkreisen und dabei beständig die Planeten vermittelst aus Luft gebildeter Seile an sich ziehen. Diese störenden Wesen machen in einem Yuga ebenso viele Umläufe, als in Wirklichkeit Merkur und Venus in derselben Periode um die Sonne vollenden; das System substituirt demnach die L^mläufe dieser imagi- nären Existenzen für die wahren siderischen Umläufe der beiden Planeten. Wenn sich der imaginäre Anzieher in seinem Umlauf durch den Zodiak öst- lich von der Sonne befindet, zieht er den Planeten in derselben Richtung von seinem mittleren Orte ab; der Planet erscheint dann in östlicher Elon- gation; dementsprechend erklärt sich die westliche Elongation. Der technische Name dieser anziehenden Wesen ist slghrocca oder einfach slghra, d. i. der höchste Punkt der schnellen Bewegung, wofür nach dem Vorgang Whitneys am besten der Ausdruck »Conjunction« gebraucht wird. Eine analoge Hypo- these erklärt nun diejenige Ungleichheit in dem Laufe der drei äusseren Pla- neten, welche in Wirklichkeit darauf beruht, dass sie von der sich um die Sonne bewegenden Erde gesehen werden. Jeder dieser Planeten hat sein eigenes nslghrav.^ das in einem Yuga ebenso oft durch den Zodiak kreist, als in Wirklichkeit die Erde um die Sonne läuft, und das durch seine An- ziehung den Planeten bald vorwärts bald rückwärts zieht. L^nd weiter werden auch die Ungleichheiten im Laufe der Himmelskörper, die wir heute aus ihrer elliptischen Bahn erklären, vermittelst einer der obigen entsprechenden Hypothese erklärt. Das Apogäum (hier viandocca^ d. i. der hohe Punkt der langsamen Bewegung, genannt) zieht den Planeten in der Weise an, dass er sich in einer Hälfte der Bahn hinter seinem mittleren Orte und in der anderen vor demselben befindet. Das Apogäum des Mondes hat eine leicht wahrnehmbare Bewegung; und es wird daher
I. Astronomie. — Dritte Periode. 33
angegeben, wieviel Umläufe es in einem Yuga vollendet. Die Bewegung der Apogäen (Aphelien) der Sonne und der Planeten ist eine so langsame, dass sie schwer zu beobachten ist, und die griechischen Astronomen sehen daher diese Apogäen als stationär an. Im S. S. dagegen wird gelehrt, dass sie eine bestimmte Anzahl von Umläufen in einem Kalpa vollenden. Es wäre aber durchaus irrig, anzunehmen, dass wir es hier mit einer auf Beob- achtung beruhenden Theorie zu thun hätten. Der Betrag der Bewegung stimmt in keiner Weise mit dem wirklichen überein; und es ist daher unzweifelhaft, dass aus der bekannten Thatsache der Bewegung des Mondapogäums die Bewegung der Planetenapogäen ganz theoretisch erschlossen wurde; dabei wurde die Zahl der Umläufe der Apogäen in einem Kalpa so bestimmt, dass sich daraus die Örter derselben zur Zeit des S. S. annähernd richtig er- gaben. In ganz analoger Weise werden die Knoten behandelt. Die Umlaufs- zeit der Knoten des Mondes ist bekannt; für die Knoten der Planeten werden Umlaufszeiten erfunden in derselben Weise wie für die Apogäen.
Es ist nun ferner erforderlich zu wissen, welches die Länge des Sonnen- jahres des S. S. ist, um daraus die wirkliche Länge des Yuga und der in ihm enthaltenen Planetenumläufe zu bestimmen. Statt diese Länge direkt anzu- geben, lehrt der S.S., dass das Yuga 1582237828 siderische Tage enthält, und dass wir die Anzahl der natürlichen Tage erhalten, wenn wir von dieser Summe die Anzahl der Sonnenumläufe abziehen. Durch Teilung der Zahl der natürlichen Umläufe durch die Zahl der Umläufe eines jeden Himmels- körpers erhalten wir die Dauer eines Umlaufes. Die Resultate weichen nur gering von den Bestimmungen der Griechen ab und sind in einzelnen Fällen nahezu identisch mit denselben.
Die Methode, nach der aus diesen Elementen der mittlere Ort eines Himmelskörpers berechnet wird, ist ganz analog der, welche wir schon für die zweite Periode angenommen haben. Der S. S. setzt, wie das Jyotisa- Vedähga, ein lunisolares Jahr und einen dementsprechenden Kalender voraus; dieser Kalender ist aber natürlich sehr viel complicirter als in der früheren Periode, wo man einfach 62 syuodische Umläufe des Mondes fünf Umläufen der Sonne genau gleichsetzte und dazu von dem Unterschied der mittleren und wahren Bewegungen nichts wusste. Trotz dieser unendlich complicirteren Form, auf deren Einzelheiten wir hier nicht eingehen können, sind aber die Grundzüge dieselben. Es handelt sich auch hier darum, für ein gegebenes Datum zuerst die Zahl der seit einem bestimmten Zeitpunkt abgelaufenen Tithis und daraus die Zahl der verflossenen natürlichen Tage aufzufinden. Zu diesem Zweck gibt der S. S. an, wieviel überzählige {adhika) synodische Monate und wieviel auszulassende lunare Tage {ksayäha) das Mahäyuga enthält. Als Aus- gangspunkt für alle Rechnungen wird das Ende des letzten Krtayuga angenom- men, da damals alle Himmelskörper am Anfangspunkt der Sphäre in Conjunc- tion gewesen sein sollen. Von diesem Zeitpunkt an werden die Jahre bis zum Anfang des laufenden Jahres des Datums, für welches die Berechnung ge- wünscht wird, zusammengezählt; mit 1 2 multiplicirt geben sie die verflossenen solaren Monate, zu welchen nun die abgelaufenen Monate des laufenden Jahres addirt werden. Für diese Summe wird durch Proportion aus den be- kannten Zahlen der solaren Monate und überzähligen Monate des Mahäyuga die entsprechende Zahl der überzähligen Monate berechnet und derjenigen der solaren Monate zugezählt. Die Summe wird mit 30 multiplicirt und dazu die Zahl der verflossenen Tithis des laufenden Monates addirt; das Resultat sind die seit dem Ende des letzten Krtayuga abgelaufenen Tithis. Und daraus wird schliesslich, meder durch Proportion aus den bekannten für das Mahäyuga geltenden Zahlen, die Zahl der der Summe der abgelaufenen Tithis entsprechenden
Indo-arische Philologie. Ut, 9. 3
34 III. Religion, weltl.Wissensch.u. Kunst. 9. Astronomie u.s.w., Mathematik.
Ksayühas berechnet. Wird nun diese Zahl von der Summe der verflossenen Tithis abgezogen, so bleibt übrig die Summe der seit dem Ausgangspunkt der Reciinung abgelaufenen natürlichen Tage (der sog. ahargana). Daraus Uisst sich dann, auf Grund der bekannten Zahl der natürlichen Tage desMahäyuga und der ebenfalls bekannten Zahl der Umläufe eines Himmelskörpers während des Mahäyuga, be- rechnen, wieviel Umläufe und Teile von Umläufen der Himmelskörper bis zu dem gegebenen Tage vollendet hat; in anderen Worten: der mittlere Ort der Planeten ist bekannt. — Diese übermässig umständliche Rechnung lässt sich da- durch einigermassen abkürzen, dass der Ausgangspunkt der Gegenwart näher gebracht wird; nach dem S. S. selbst — obschon dieser es nicht ausdrück- lich anerkennt — sind alle Planeten auch am Anfang des Kaliyuga wieder am Anfang der Sphäre in Conjunction, und dieser Zeitpunkt kann daher als Ausgangspunkt genommen werden. — Das schliessliche Resultat gilt für Mitternacht auf dem Meridian von UjjayinI oder Avant! (dem heutigen Ujjain in der Central Indian Agency, 75° 53' östlicher Länge von Greenwich), von welchem gesagt wird, dass er durch Lanka und das Kuruksetra laufe. Lanka ist im System dieser Periode eine von vier grossen, in der Entfernung von je 90" von einander auf dem Äquator liegenden Städten. Um den mittleren Ort eines Himmelskörpers für andere Meridiane zu finden, wird eine Regel gegeben, wie die Entfernung einer gegebenen Lokalität vom ersten Meridian zu berechnen ist; dieselbe setzt die Annahme eines Erd- diameters von 1600 Yojanas voraus. Der Wert dieser Abschätzung lässt sich nicht genau beurteilen, da die Länge des Yojana nicht sicher zu bestimmen ist. Aus dem gefundenen Längenunterschiede lässt sich der Ort des Planeten vermittelst einer Proportion leicht berechnen. — Das erste Kapitel schliesst mit der Angabe des Betrags, bis zu welchem der Mond und die Planeten sich von der Ekliptik entfernen.
Das zweite Kapitel {spastädhikärd) lehrt, wie die wahren (Jrter und Be- wegungen zu berechnen sind. Die Erklärung des Unterschiedes, zwischen mittlerer und wahrer Bewegung aus der Anziehung der Mandoccas, Slghroccas und Pätas ist schon oben mitgeteilt worden. Zur Berechnung der wahren Erscheinungen zieht nun der S. S. die aus der griechischen Astronomie be- kannten Epicyklen herbei und gibt zunächst — um die Anwendung derselben möglich zu machen — eine Tafel der trigonometrischen Sinus. In einer der indischen Astronomie eigentümlichen Weise wird der Kreisumfang dem Radius in der Weise commensurabel gemacht, dass der letztere in 3438' eingeteilt wird, während der Quadrant des Kreises deren 90 x 60 ^ 54°° enthält. Die auf Grund dieser Annahme berechnete Sinustafel enthält 24 Sinus, d. i. sie schreitet von 225 zu 225 Kreisminuten vor; der erste Sinus wird dem ent- sprechenden Bogen gleichgesetzt^ beträgt also 225; der letzte, der Sinus von 90", ist natürlich = 3438; und es wird ferner gelehrt, v;ie die Werte der Sinus, welche zwischen den 24 in der Tafel angegebenen Sinus liegen, sich berechnen lassen. — Die Dimensionen der y^paridhi^^ (Umfang, Kreis) ge- nannten Epicyklen werden in der Weise ausgedrückt, dass nicht der Radius des Epicykels mit dem Radius des tragenden Kreises, sondern die Umfange der beiden Kreise verglichen werden; die Peripherie des Epicykels der Sonne z. B. wird auf 14° der Sonnenbahn angegeben, verhält sich also zu dieser wie 14 zu 360. Ferner wird angenommen, dass die Epicykel nicht an allen Punkten des tragenden Kreises dieselben Dimensionen haben, sondern sich vom »Ucca« an bis zum Ende des ersten Quadranten stetig verkleinern, von da bis zum Ende des zweiten Quadranten wieder vergrössern, und in der zweiten Hälfte des Kreises durch entsprechende Phasen laufen. Der Text gibt die Dimensionen der Epicykel am Ende der geraden und ungeraden Quadranten an und lehrt,
I. Astronomie. — Dritte Periode. 35
wie ihre Dimensionen für die dazwischen hegenden Punkte zu finden sind. Nachdem so der einer gegebenen AnomaUe entsprechende Epicykel bestimmt ist, wird vermittelst einer einfachen Proportionsrechnung der Betrag der ent- sprechenden Centrumsgleichung gewonnen, und durch dessen Addition oder Subtraction der mittlere Ort des Planeten in den wahren verwandelt. — Für Sonne und Mond genügt ein einziger solcher Process, da sie nur die eine von der Excentricität ihrer Bahnen herrührende Ungleichheit haben; für die Planeten werden je zwei Epicykel angenommen, der erste um die Centrums- gleichung zu erhalten, der zweite um, wie wir es ausdrücken, den heliocen- trischen Ort des Planeten in den entsprechenden geocentrischen zu verwandeln. Ein complicirter Process wird gelehrt, um, in der Berechnung des wahren Ortes eines Planeten, den beiden gleichzeitig thätigen Einwirkungen des Man- docca und des Sighrocca in angemessener Weise Rechnung zu tragen. — Es folgen Regeln, auf analoger Basis ruhend, um die wahre Bewegung der Himmelskörper zu berechnen, und eine Angabe der Umstände, unter denen die Planeten stationär und retrograd werden. Darauf folgt die Regel zur Berechnung der jeweiligen Breite der Planeten, womit die Theorie der wahren Örter und Bewegungen abgeschlossen ist. Weiter gibt das Kapitel eine An- leitung zur Berechnung der Zeit, während derer, im Laufe seines scheinbaren täglichen Umlaufs um die Erde, ein Planet über oder unter dem Horizont ist, und schliesslich Regeln zur Berechnung der Tithis. Es genügt diesem Systeme nicht länger die einfache Einteilung des synodischen Monats in 30 Teile; unter dem Tithi wird nun der Zeitraum verstanden, während dessen, auf Grund der wahren Bewegungen von Sonne und Mond, der Mond seine Entfernung von der Sonne um 12 Grade vergrössert. Dies complicirt natürlich den Kalender in ausserordentlicher Weise. — Das Kapitel enthält ferner (V. 28) die Bestimmung des »Sinus der grössten Declination«, d. h. der Neigung der Ekliptik zum Äquator, welche auf 24° geschätzt wird, und lehrt, wie die Declination eines Himmelskörpers in irgend einem Punkte seines Umlaufs zu finden ist.
Das dritte Kapitel {triprasnädhikärd) handelt von den »drei Fragen« nach Richtung, Ort und Zeit. Es lehrt zunächst, wie vermittelst eines in der Mitte eines Kreises errichteten Gnomons die Meridianlinie und die öst- westliche Linie bestimmt werden, und wie vermittelst der Schatten des Gno- mons die Entfernung der auf- und untergehenden Sonne von dem Ost- und Westpunkte des Horizonts zu finden ist; ferner wie vermittelst des äquinoc- tialen Schattens des Gnomons die Breite einer Lokalität gefunden wird; weiter wie aus der Beobachtung des Mittagsschattens zu irgend welcher Zeit die Zenithdistanz der Sonne und aus dieser und der Dechnation der Sonne die. Breite der Lokalität ermittelt wird, und Ähnliches. Es folgen Regeln, wie aus der gegebenen Declination der Sonne und der Breite der Lokahtät die Höhe der Sonne zu finden ist für die Zeitpunkte, wenn sie den südöstlichen oder den südwestlichen Verticalkreis passirt; ferner wie man die Höhe der Sonne zu irgend welcher Tagesstunde berechnet. Eine weitere Regel lehrt, wie aus einer einzigen Schattenbeobachtung die mittlere und die wahre Länge der Sonne gefunden werden können. Es folgen die Regeln zur Bestimmung der Zeit, welche die verschiedenen Zeichen der Ekliptik brauchen, um sich über den Horizont zu erheben, und zwar zuerst auf dem Äquator, dann in irgend einer Lokalität von gegebener Breite. Den Schluss machen Regeln zur Bestimmung der Punkte der Ekliptik, die zu irgend einer Stunde auf dem Horizonte und dem Meridian liegen. — Das Kapitel enthält ebenfalls, an wenig schicklicher Stelle, eine kurze Regel, um den Betrag der Präcession der Äquinoctien für einen gegebenen Zeitpunkt zu finden. Die der Regel zu Grunde liegende theoretische
■6*
36 III. Religion, weltuWissensch. u. Kun^t. 9. Astronomie u.s.w., Mathematik..
Ansicht ist, dass das Frühlingsäquinoctium sich abwechselnd 27° nach Westen oder nach Osten von dem Anfang der festen Sphäre wegbewegt und zwar so, dass es in 7200 Jahren zu derselben Stelle zurückkehrt, woraus sich ein jährlicher Betrag der Präcession von 54" ergibt.
Das vierte und fünfte Kapitel handeln von Mond- und Sonnenfinster- nissen. Wir können hier nicht auf eine Erörterung der Details eingehen, die nur in ganz ausführlicher Darstellung verständlich sein würden. Wir bemerken nur, dass die Abschätzung des Durchmessers des Mondes auf 480 Yojanas auf der Annahme einer Horizontalparallaxe von 53' 20" beruht, und dass die scheinbaren Durchmesser des Mondes und der Sonne in mittlerer Ent- fernung auf 32' und 32' 2 4".8 abgeschätzt werden. Die bei Sonnenfinster- nissen in Betracht zu ziehenden Parallaxen in Länge und Breite werden richtig definirt, und zu ihrer Berechnung Regeln gegeben, aus denen sich Resultate von wenigstens leidlicher Genauigkeit ergeben. Das sechste Kapitel {parilc- khädhikära) handelt von der Projection von Finsternissen.
Das siebente Kapitel handelt von verschiedenen Conjunctionen der Pla- neten, eine Anwendung früher gegebener Regeln aufprägen von nur astrolo- gischem Interesse. V. 13 u. 14 enthalten Angaben über die scheinbaren Durch- messer der Planeten.
Das achte Kapitel {naksatragrahayiityadhikära) behandelt die — eben- falls nur astrologisch interessanten — Conjunctionen von Planeten und Fix- sternen. Das Kapitel ist aber astronomisch wichtig dadurch, dass es Angaben über die Länge und Breite der wichtigsten Sterne der 28 Naksatras macht, und ebenso über die Länge und Breite von einigen wenigen ausserhalb der Sphäre der Naksatras liegenden Fixsternen. Die Sphäre wird eingeteilt in 27 gleiche leile, deren jeder 13" 20' enthält; diesen 27 Teilen entsprechen aber 28 Steine oder Constellationen, und auf deren Haupt- oder Conjunctions- sterne beziehen sich die Angaben des Textes. Die Aufzählung der Naksatras beginnt mit Asvini und schliesst mit RevatT, dessen Conjunctionsstern die Länge von 13" 10' in dem ihm zugehörigen Abschnitte der Ekliptik hat; d. h. der Stern liegt 10' von dem Punkte der Sphäre entfernt, von dem die Abteilung der Ekliptik ausgeht. In Verbindung mit der Identification der ganzen Reihe der Naksatras mit den uns bekannten Fixsternen (eine Identi- fication, die von den früheren Forschern im Gebiete der indischen Astronomie, darunter hauptsächlich Coleerooke, vollzogen Avurde) ist der Conjunctions- stern von RevatT als C Piscium erkannt worden. Die Länge dieses Sternes ist somit nach dem S.S. 359" 50'; nach den hauptsächlichen anderen Sid- dhäntas hat er keine Länge, liegt genau am Ausgangspunkte der Sphäre. Und da die Astronomen dieser Periode bei der Berechnung der Präcession der Aquinoctien von eben diesem Punkt als Nullpunkt ausgehen, so hat man geschlossen, dass das ganze astronomische System dieser Periode zu ungefähr der Zeit entstand, als der Stern C Piscium mit dem Punkte des Frühlings- äquinoctiums zusammenfiel. Wir werden auf diesen Punkt weiter unten zu- rückkommen. — Betreffs der Methode der Bestimmung der Länge und Breite von Fixsternen ist zu bemerken, dass der Kreis, dessen Intersektion mit der Ekliptik die Länge bestimmt, nicht von dem Pole der Ekliptik, sondern von dem des Äquators aus gezogen wird, und dass auf eben diesem Kreis die Breite gemessen wird; für diese so bestimmten Längen und Breiten werden am besten, mit Whitney, die Ausdrücke »polare« Länge und Breite ver- wendet. Auffallend ist die ganz geringe Anzahl der nicht zu den Naksatras gehörigen Fixsterne, die in Betracht gezogen werden.
Das neunte Kapitel {zidayästädhikärd) gibt eine Theorie der heliakischen Aufgänge und Untergänge der Planeten und Fixsterne, bestimmt unter anderem
I. AsiRONOMiE. • — Dritte Periode. 37
die Elongationen von der Sonne, die für die verschiedenen Planeten und Sterne nötig sind, damit sie sichtbar werden. — Das zehnte Kapitel {srngonnaty- adhikärd) gibt eine analoge Theorie für den Mond und lehrt, Avie der Be- trag des erleuchteten Teiles der Mondscheibe und die Lage desselben mit Bezug auf den Horizont bestimmt werden können. — Das elfte Kapitel {pätädhikära) lehrt, wie gewisse relative Lagen von Sonne und Mond, denen ein unheilvoller Einfluss zugeschoben wird, zu berechnen sind; die technischen Namen dieser bösen Aspekte sind vaidhrta und vyatTpäta. — Das zwölfte Kapitel ibhügolädhyäya) führt uns von den mehr astrologischen Dingen der vorausgehenden Abschnitte wieder in eine positivere Sphäre zurück. Auf eine mythologische Darstellung der Schöpfung der ^Velt folgt eine Beschreibung des Weltalls. Die alte Idee vom Ei des Brahman wird beibehalten; statt der früheren flachen Oberfläche der Erde, die das Ei in zwei Hälften teilte, haben wir aber nun eine frei in der Mitte des Eies schwebende Kugel; die Himmelskörper, die früher über der flachen Erde den Meru umkreisten, beschreiben ihre Bahnen nun um die Erdkugel. Der Meru wird beibehalten als ein am Nordpol liegender goldener Berg, auf dem die Götter wohnen; er setzt sich innen durch die ganze Erde fort und kommt am Südpol als ein zweiter Meru zum Vorschein, auf dem die Asuras hausen. Die alten Dvipas verwandeln sich in die verschiedenen Länder und Inseln, die im Ocean liegen; auf dem Äquator liegen in gleichen Abständen von einander die Städte Lanka, Romaka, Siddhapura, Yamakoti (von Ost nach West gerechnet). Der Polarstern {dhniva) steht senkrecht über dem nördlichen Meru, ein analoger Südpolar- stern über dem südlichen Meru. Die Höllenregionen {pätäla) liegen im Innern der Erdkugel. Die Verschiedenheit der Länge der Tage und Nächte in verschiedenen Lokalitäten der Erde und zu den verschiedenen Jahreszeiten wd mit grosser Klarheit auseinandergesetzt. Weiterhin werden der indischen Astronomie eigentümliche Angaben gemacht über die absoluten Masse der Bahnen der verschiedenen Himmelskörper, in Yojanas berechnet. Die ganze Berechnung fusst auf der oben erwähnten Bestimmung der Horizontal-Parallaxe des Mondes, aus der, in Verbindung mit der Bestimmung des Radius der Erde, 324000 Yojanas als der Umfang der Mondbahn erschlossen werden, und bedient sich dann der weiteren ganz willkürlichen Annahme, dass die mittlere Geschwindigkeit aller Himmelskörper dieselbe ist, und dass daher aus ihrer anscheinenden mittleren Geschwindigkeit ihre Entfernungen von der Erde und der Umfang ihrer Bahnen gefolgert werden können. Die Bestimmungen sind daher, mit Ausnahme derjenigen der Mondbahn, ganz wertlos.
Das dreizehnte Kapitel {jyotisopanisadadhyäya, das Kapitel von der Geheim- lehre der Astronomie) beschreibt eine Armillarsphäre, bestimmt zur Veran- schaulichung der Lage und Bewegung der Himmelskörper, und erwähnt ferner, ohne sich in genauere Beschreibungen einzulassen, eine Anzahl von Instru- menten für astronomische Beobachtungen, darunter den Gnomon {saüku) und die zur Zeitmessung bestimmte Kupferschale mit einem Loche, die, auf Wasser gesetzt, sich im Laufe einer Nädikä (= Vso der Tagnacht) anfüllt und unter- sinkt. — Das vierzehnte Kapitel imänädhyäyd) enthält Angaben über die ver- schiedenen Weisen, nach denen Zeit bemessen wird (solar, lunar etc.^.
Das Obige ist eine kurze Übersicht des Inhalts des S. S. in der Form, in welcher das Werk auf die heutige Zeit gekommen ist und seit Jahrhunderten als das autoritative Werk in astronomischen Dingen gegolten hat. Das Werk in seiner ursprünglichen Form war jedoch von der erhaltenen Form in mehreren nicht unwesentlichen Einzelheiten verschieden, wie wir nun aus der Paficasiddhän- tikä des Vahära-Mihira wissen. Dies letztere Werk gibt uns freilich keinen Abriss des ganzen S. S., sondern nur eine condensirte Darstellung der Regeln, die für
38 ni. Religion, vveltlAVissensch. u.Kunst, 9. Astronomie u.s.w., Mathematik,
gewisse astronomische Berechnungen, besonders die der Mond- und Sonnen- finsternisse, erforderhch sind ; und diese Regehi sind noch nicht alle vollständig erklärt. Was sich mit Sicherheit erkennen lässt, ist der Unterschied der beiden Werke betreffs wichtiger numerischer Elemente. Nach dem alten S. S. war die Länge des siderischen Jahres 365' 6^' 12' 36"; und die Zahlen der Um- läufe der Planeten sowie des Apogäums und des Knotens des Mondes im alten Werke weichen alle einigermassen von den entsprechenden Zahlen des neuen Werkes ab. Die ^Methoden der Berechnung sind im allgemeinen dieselben; doch fehlt unter anderem im alten S. S. die Lehre vom wechselnden Umfange der Epicyklen je nach dem Betrage der Anomalie. Genauere Belehrung über den alten S. S. lässt sich aus einer gründlichen Durcharbeitung von Brahmaguptas Khandakhädyaka erwarten, da dasjenige Werk Äryabhatas, dessen Elemente dem Kh. Kh. zu gründe liegen, sich offenbar durchgängig an den S. S. in seiner alten Gestalt anschloss. Bei einer Betrachtung des allgemeinen Charakters der indischen Astronomie dieser Periode mögen wir uns einstweilen an den späteren S. S. halten.
Der S.S. ist mehrfacli in Indien herausgegeben worden; die beste Ausgabe ist die von Fitz-Edward Hall und Bäpu Deva Sästrin in der Bibl. Indica ver- öffentlichte. Bäpu Deva Sästrin gab ebenda eine englische Übersetzung des S. S. heraus. Die unter § 22 erwähnte viel wichtigere Übersetzung liuRGESS- WmTNEYs wurde im 6. Bande des Journal of the American Oriental Society publi- cirt. — Vgl. ferner den betrefl'enden Abschnitt in SBD., bei dem sich auch voll- ständige Angaben über die Commentare zum S. S. finden. — Über das Verhältnis der älteren Form des S. S. zum überlieferten Text vgl. die Einleitung zur Pahca- siddhäntikä, s. § 34, Anm.; S. B. DiKsiT in seinem historischen Werke und in seinem Aufsatze: The original Surya-Siddhänta, Ind. Ant. XIX; M. P. Kharegat, On the Interpretation of certain Passages in the P. S. of Varäha-Mihira (Journal Asiatic Society of Bombay 1896).
§ 25. Dritte Periode. — Charakteristik des Sürya-Siddhänta. — Es ist von Interesse, einige der Züge hervorzuheben, die einem Werke wie dem S. S. — welcher doch im ganzen offenbar dasselbe lehrt wie die griechische Astronomie — seinen eigentümlich indischen Charakter geben. Obenan steht hier die Anwendung von ungeheueren Zeitperioden. Ein Werk wie das Jyotisa-Vedänga , das sich nur mit Sonne und Mond be- fasste und von der Dauer des Umlaufs der beiden nur höchst ungenaue Begriffe hatte, konnte sich mit einer cykhschen Periode von fünf Jahren behelfen. Für die, w^elche die Länge von Jupiters Umlauf auf 12 Jahre schätzten und diese Periode mit dem fünfjährigen Yuga combiniren wollten, genügte die 60jährige Periode. Ein Werk, das wie der Romaka-Siddhänta (über welchen weiter unten) die annähernd genauen griechischen Kenntnisse von der Länge des Jahres und des synodischen Monats hatte, ohne darauf auszugehen, die Bewegungen von Sonne und Mond mit denen der Planeten zu combiniren, konnte noch mit einer Periode von 2850 Jahren auskommen. Nun brauchte aber der Verfasser des S. S. eine Periode , die erstens lang genug war, um, selbst aus ganzen Tagen bestehend, ganze Zahlen von den Umläufen aller Himmelskörper zu umfassen, und die zweitens die Autorität der indischen Überlieferung für sich hatte. Welcher Wert in orthodoxen Kreisen auf den letzteren Punkt gelegt wurde, erhellt aus einer kritischen Bemerkung Brahmaguptas, wonach der Romaka-Siddhänta ausserhalb der Smrti steht, weil er von den in derselben gelehrten grossen Zeitperioden keinen Gebrauch macht. Als solche Perioden boten sich nun dar das Mahä- yuga der Puränas mit seinen 4320000 Jahren und das noch viel längere Kalpa, die nun so zum ersten Male eine praktische Bedeutung gewannen und aufhörten, bloss müssige Spekulationen einer im Gedanken der Unend- lichkeit der Zeit schwelgenden Phantasie zu sein. Vermittelst ganz geringer
I. Astronomie. — Dritte Periode. 39
Abänderungen der genauen Bestimmungen der Länge der Planetenumläufe — die wir als von den Griechen entlehnt ansehen — liess es sich annehmen, dass in so enormen Perioden alle Himmelskörper eine Anzahl von ganzen Umläufen vollendeten. Das Mahäyuga ist daher in keiner Weise als so con- struirt zu denken (wie Biot einmal annimmt^ dass etwa auf der Basis eines feststehenden Wertes der Länge des Jahres eine Periode construirt wurde, in die das feststehende Jahr so und so viel mal ohne Rest aufging (dies war allerdings die Procedur des Ro. Si., der aber dadurch zu einer Periode kam, welche keine traditionelle Autorität besass); sondern umgekehrt war das fest- stehende Element die Länge der traditionellen Periode in Jahren, und die Länge des Jahres das Element, welches modificirt werden konnte. Diese Modification brauchte allerdings keine bedeutende zu sein, da die Tradition entweder nicht vorschrieb, aus wie viel ganzen Tagen das Yuga bestehen sollte, oder man sich in dieser Beziehung nicht an die Tradition gebunden glaubte. War andrerseits die Zahl der Tage des Yuga einmal festgesetzt, so hatten notwendig die Längen der Umläufe aller anderen Himmelskörper mehr oder weniger bedeutende Änderungen zu erleiden, um sie dem Yuga einzu- passen. — Als eine weitere specifisch indische Idee ist zu erwähnen die Weise, wie — im zweiten Kapitel des S. S. — die Apogäen, Conjunctionen {s'Jg/ira) und Knoten der Bahnen der Himmelskörper als persönUche Wesen dargestellt werden, die auf die mittleren Bewegungen einen störenden Einfluss ausüben. Diese Personification ist wahrscheinlich dem Umstände zuzuschreiben, dass von Alters her der Mondknoten als ein den Lauf des Mondes störender Dämon aufgefasst worden war; und die Seile, vermittelst derer die personi- ficirten Apogäen etc. die Planeten an sich ziehen, finden ihr Vorbild in den unsichtbaren Seilen, die in den Puränen die Himmelskörper mit dem Polarstern verknüpfen. — Ebenso ist der am Nordpol liegende Meru des S. S. eine An- eignung und Modificirung des nach den Puränen im Centrum der flachen Erde liegenden Götterberges. So werden auch wohl die Lehren des elften Kapitels über die Ausdehnung der Bahnen der Himmelskörper in Yojanas auf ein älteres Vorbild zurückzuführen sein, nämlich die Angaben, welche die Puränen und die Bücher der Jainas über den, ebenfalls in Yojanas bemessenen, Umfang der Kreise machen, welche Sonne und Mond um den Berg Meru beschreiben. Weitere aus der traditionellen Astronomie stammende Elemente sind die Unterscheidung der verschiedenen Arten planetarischer Bewegungen im zweiten Kapitel, die Grundbegriffe über die Conjunctionen der Planeten mit den Naksatras und Ähnliches mehr. Im ganzen lässt sich sagen, dass der Verfasser des S. S. darauf ausging, von den alten Anschauungen so viel beizu- behalten, als sich mit den neueren Lehren vereinigen liess, die letzteren so weit als möglich den alten Methoden und Rechnungsweisen anzupassen und nur so viel Neues zuzulassen, als zur Berechnung solcher Stellungen und Aspekte der Himmelskörper nötig war, die schon von Alters her Interesse erregt hatten. S 26. Dritte Periode. — Väsistha-Siddhänta und Väkyam. — In Bezug auf die anderen Siddhäntas, welche in der Paiicasiddhäntikä dargestellt werden, sind wir weniger gut situirt als im Falle des S. S.; denn während uns letzterer — wenn schon in modificirter Gestalt — vollständig vorliegt, so dass wir die Angaben der P. S. gewissermassen kontroUiren und durch ein uns bekanntes System erklären können, wissen wir über den Väsistha-, den Paulisa- und den Romaka-Siddhänta eigentlich nur durch Varäha-Mihira, und dazu sind die Angaben desselben — teils wegen der sehr corrupten Ge- stalt der Handschriften, teils wegen der inneren Schwierigkeiten — noch keineswegs genügend und vollständig erklärt. Immerhin ist, was wir aus ihnen entnehmen können, von grossem Interesse. Der Väsistha-Siddhänta, den V.M.
40 III. Religion, weltl.Wissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u.s.w., Mathematik.
in seinem 2. Kapitel behandelt, scheint eine eigentümliche Übergangsstellung eingenommen zu haben. V.M. selbst bezeichnet ihn und den Paitämaha als ndüra vibhrastauv.. Die zwei Werke stehen jedoch durchaus nicht auf gleicher Stufe. Der Pait. Si. ist schon oben characterisirt worden. Der Vä. Si. ist in- sofern viel weiter vorgeschritten, als er weit genauere und ausgedehntere Kenntnisse über die mittleren Umläufe der Himmelskörper hat und ausser- dem wahre Bewegungen von mittleren unterscheidet und zu berechnen lehrt. Andrerseits aber steht er in seinen Ansichten über die Natur der wahren Be- wegungen weit hinter dem S. S. und ähnlichen Werken zurück. Der erste Vers des zweiten Kapitels der P. S. scheint eine Angabe der Länge der zwölf Monate zu enthalten, wonach die Länge des ganzen Jahres 36574 Tag be- tragen würde. Es folgen darauf Regeln zur Berechnung der Orter und Be- wegungen des Mondes, aus denen erhellt, dass eine gewisse in Südindien bis heute gebräuchliche astronomische Rechnungsmethode — welche von der der meist bekannten AA'erke , wie z. B. des S. S. , nicht unbedeutend abweicht — älter ist, als man bisher anzunehmen berechtigt war. Es ist das der zuerst von Le Gentil und später von Bailly, Warren und Hoisington beschriebene sog. Väkyam-Process, welcher bis zur heutigen Zeit in all den Teilen Süd- indiens angewendet wird, in denen die tamulische Sprache vorherrscht. Das Charakteristische dieses Verfahrens ist, dass es darauf ausgeht, die wahren Örter der Himmelskörper zu bestimmen, ohne vorher die mittleren Orter ge- funden zu haben. Während der S. S. z. B. für ein bestimmtes Datum den Ort des Mondes in der Weise berechnet, dass zuerst vermittelst Proportion aus dem Ahargana der mittlere Ort berechnet wird, darauf der Ort des Apo- gäums des Mondes und dann vermittelst einer trigonometrischen Regel der Betrag der Centrumsgleichung, durch deren Addition oder Subtraction der mittlere Ort in den wahren verwandelt wird, berechnet die Väkyam-Methode direkt, wieviel anomalistische Revolutionen der Mond innerhalb des gegebenen Ahargana durchlaufen hat, und nimmt dann aus einer fertig berechneten Tafel den Betrag der Gleichung, welcher dem Rest von Tagen entspricht, der vom Ahargana nach Abzug der vollendeten anomalistischen Umläufe übrig bleibt. Um diese Berechnung zu erleichtern, werden Perioden von Tagen gebildet, die eine Anzahl von ganzen anomahstischen L'mläufen enthalten und die daher sofort vom Ahargana abgezogen werden können. Die kleinste dieser Perioden — Devaram genannt — besteht aus 248 Tagen, welche 9 anomalistischen L'mläufen gleichgesetzt werden; die nächst grössere Periode — Calanilam — umfasst 3031 Tage ^ 1 10 Umläufe; zwei weitere Perioden enthalten je 12372 und 1600984 Tage und entsprechende Zahlen von Um- läufen. Ein gegebener Ahargana wird, je nach seiner Grösse, mit einer dieser Perioden geteilt, der Rest mit der nächst kleineren u. s. w. ; der bei der Tei- lung mit 248 übrig bleibende Rest — der die verflossenen Tage des laufenden anomalistischen Umlaufs ausdrückt — wird in der oben angegebenen Weise be- handelt. L'm die bequeme Berechnung des mittleren Ortes des Mondes zu ermöglichen, wird angegeben, wie weit sein mittlerer Ort am Ende jeder der oben detaillirten Perioden liegt; wenn man die Längen dieser Orter zusammen- zählt und schliesslich aus einer Tafel die mittlere Bewegung des Mondes nimmt, die dem oben erwähnten Rest entspricht, so hat man den mittleren Ort des Mondes für das gegebene Datum. Was diese Methode charakterisirt, ist die eigentümliche Rechnungsweise; die astronomischen Elemente, die dabei benutzt werden, können natürlich verschiedener Art sein; die nach Warren und anderen thatsächlich in Südindien angewandten sind dem Arya-Siddhänta entnommen.
Das 2. Kapitel der P. S. lehrt nun, wie zur Berechnung des Ortes des
I. Astronomie. — Dritte Periode. 41
Mondes zwei Perioden anzuwenden sind, eine — ghana genannt — , die 3031 Tage umfasst, und eine — deren Name gati ist — , welche aus ^^ Tagen besteht und daher einen anomahstischen Umlauf darstellt. Und es wird ferner angegeben^ auf wie viel sich der Betrag der mittleren siderischen Bewegung des Mondes während jeder dieser Perioden belauft. Und weiter wird gezeigt, wie für die durch den Rest dargestellten Tage des laufenden anomahstischen Umlaufs die wahre Bewegung zu ermitteln ist, und zwar auf Grund der Annahme, dass die Schnelligkeit des Mondes während eines ano- malistischen Umlaufs um einen gleichen täglichen Betrag zu- oder abnimmt, eine besonders interessante Ansicht, welche den Vä. Si. als bedeutend primi- tiver kennzeichnet als die bekannten Siddhäntas. Dasselbe Kapitel enthält eine Regel zur Berechnung der Länge des Tages, die auf der Annahme be- ruht, dass die Tage um gleiche Quantitäten zu- und abnehmen; und weiter- hin Regeln, um die mittlere Länge der Sonne aus dem Schatten des Gnomon zu finden, und umgekehrt; und um aus der Länge des Schattens den Lagna, d. h. den um die gegebene Zeit im Ostpunkt befindhchen Teil der Ekliptik zu bestimmen, und umgekehrt. Auch diese Regeln sind durchaus primitiver Art. Es erscheint weiterhin wahrscheinlich, dass die im ersten Abschnitt des 18. Kapitels enthaltenen Regeln über die Bewegung der fünf Planeten ebenfalls dem Vä. Si. entnommen sind; und auch diese Regeln sind von viel primitiverer Natur als die entsprechenden des S. S.; soviel lässt sich näm- lich mit Sicherheit sagen, obwohl die Details meist noch nicht erklärt sind. Die Methoden der Berechnung haben einige Analogieen mit den oben be- schriebenen, nach denen der Mondlauf berechnet wird; und bemerkenswert ist die Hervorhebung der synodischen Umläufe, die freilich die auffälligsten Phänomene in den planetarischen Bewegungen hervorrufen, aber im S. S. und ähnlichen Werken ganz hinter die siderischen l^ewegungen zurücktreten.
Über den Vä. Si. vgl. die Einleitung zur P. S., s. S 34> Anm., SBD. und die zu § 24 genannte Abhandlung Kharegats. — Der südindische Väkyam-Process findet sich beschrieben in Warrens Kälasamkalita, I?aillys Astronomie Indienne und in HoisiNGTONs Orien'tal Astronomer.
Ein Laghu-Vasistha-Siddhänta (i88i in Benarcs von Pamlit Vindhvesvari Prasad DuBE herausgegeben) ist ein späteres Produkt ohne Bedeutung und mit dem alten Vä. Si. in keiner Weise verknüpft. Über Teile eines anderen, ebenfalls vom alten Siddhänta abweichenden, Vasistha-Siddhänta s. SBD. pp. 171. 187.
§ 27. Dritte Periode. — Paulisa-Siddhänta. — Ein Paulisa- Siddhänta war schon seit längerer Zeit aus den bei Bhattotpala er- haltenen bedeutenden Citaten und der häufigen Bezugnahme Brahmaguptas auf ihn bekannt. Bhattotpala enthält einen längeren Passus, der Auskunft über die Beschaffenheit des Yuga und die mitderen Bewegungen der Planeten gibt. Das grosse Yuga enthält demnach i 577917800 Tage, so dass sich die Länge des Jahres auf 365' 6'' 12' 36" stellt. Die Angaben über die Umläufe der Planeten stimmen im ganzen mit denen des älteren S. S. und Äryabhatas überein (worüber die Details bei Coleerooke und SBD. nach- zusehen sind). Während das Metrum des erwähnten Passus Aryä ist, findet sich bei Bhattotpala ferner ein in Anustubh abgefasstes Citat aus einem »Müla-Pulisasiddhänta«, welches die Umdrehungen der Sphäre in einem grossen Yuga in Übereinstimmung mit dem erwähnten Äryä-Passus auf 1582237800 angibt, woraus dieselbe Jahreslänge folgt wie oben.
Von den zwei demnach, wie es scheint, dem Bhattotpala vorliegenden Paulisa-Siddhäntas war aber der ursprüngliche Siddhänta, mit welchem uns die Paiicasiddhäntikä bekannt macht, durchaus verschieden. Leider sind bedeutende Teile des von V.M. dem Pau. Si. gewidmeten Kapitels noch nicht erklärt; immer- hin aber lässt sich soviel sagen, dass, verglichen mit dem S. S., der Pau. Si. ein
42 III. Religion, weltl.Wissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u. s.w., Mathematik.
primitives Werk war, in einigen Hinsichten dem Väsistha-Siddhänta nahe stehend. Die Länge des Jahres wird auf 365' 6^' 12"" angenommen. Der Ahargana wird in der gewöhnUchen Weise vermittelst Tithis und Ksayähas berechnet, doch anscheinend durch möghchst reducirte Perioden; doch ist es nicht ganz leicht zu bestimmen, wie weit der von V.M. im ersten Kapitel detaillirte Rechnungsmechanismus sich in eben der Form schon im Pau. Si. vorfand. Ob der Pau. Si. das Yugasystem anerkannte, ist schwer zu sagen, doch nach der P. S. kaum wahrscheinlich. Anstatt einer allgemeinen Regel für die Berechnung der wahren Bewegungen der Sonne gibt der Pau. Si. nur den Betrag der Centrumsgleichung von je 30 zu 30 Graden der Anomalie; der Wert der grössten Gleichung scheint bedeutend grösser zu sein als der sonst in der indischen Astronomie angewandte. Betreffs der Theorie des Mondes scheint dieser Si., in Übereinstimmung mit dem Väsistha, eine gleiche tägliche Zu- und Abnahme der wahren Bewegung gelehrt zu haben. Die Regeln zur Berechnung der Mond- und Sonnenfinsternisse sind von sehr pri- mitiver Natur, weniger genau als die in irgend einem der anderen uns be- kannten Siddhäntas. Das letzte Kapitel der P. S. enthält in seinem zweiten Teil Angaben über die Umläufe der Planeten, die nach dem Colophon dem Pau.-Siddhänta entstammen. Die siderischen Umläufe werden darin gar nicht berücksichtigt, sondern nur die synodischen; und die Tage, in denen die Um- läufe ausgedrückt werden, sind sog. Saura-Tage, d. i. solare Tage im indischen Sinne des Wortes, von denen 360 ein Sonnenjahr ausmachen. Es wird ferner der synodische Umlauf eines jeden Planeten in eine Anzahl von Teilen zer- legt und angegeben, wieviel Grade der Planet während jedes Teiles zurück- legt. Von einem Teil des in der P. S. gegebenen IMaterials lässt sich nicht bestimmen, ob es dem Pau. Si. oder dem S. S. entnommen ist.
Der Name »Paulisa«, aus dem ein »Pulisa« als Verfasser des Siddhänta erschlossen zu sein scheint, hat ein entschieden unindisches Ansehen; und Alberöm (dem der ursprüngliche Siddhänta nicht vorlag) leitet die Lehre des Siddhänta auf einen Griechen Namens Paulus zurück. Dass das Werk mit dem Paulus Alexandrinus in Verbindung stehen sollte, welcher als Ver- fasser eines uns erhaltenen astrologischen Handbuches bekannt ist, lässt sich nicht erweisen; und es ist ausserdem wenig \vahrscheinlich, da die ver- schiedenen Paulisa-Siddhäntas, von denen wir wissen, sich durchaus auf astro- nomische Dinge beschränkt zu haben scheinen.
Über den Pau. Si. vgl. die zu Anfang der letzten Note genannten Quellen. Auf den späteren, dem Brahmagupta vorliegenden Pau. Si. nimmt Colebrooke in seinen von indischer Astronomie handelnden Essays vielfach Bezug; dersellje Sid- dhänta diente dem Alberünl als eine seiner hauptsächlichsten Quellen.
§ 28. Dritte Periode. — Romaka-Siddhänta. — Der von V.M. behandelte Romaka-Siddhänta ist zu unterscheiden von einer Überarbeitung des ursprünglichen Werkes durch SrT.sena, von welchem später die Rede sein wird. Der Ro. Si. — dessen Name schon auf den Westen hinzuweisen scheint, denn er wird schwerlich ausser Zusammenhang mit »Rom« zu setzen sein — ist besonders interessant dadurch, dass er von allen uns bekannten indischen astronomischen Werken die unzweideutigsten Spuren griechischen Einflusses zeigt. Er bedient sich nämlich eines Yuga von 2850, d. s. 150 X 19, solaren Jahren, dem er die Anzahl von 1040953 Tagen zu- schreibt. Es erhellt daraus, dass die Länge des Jahres auf 365' s""' 55' 12" angesetzt ist, und dies ist ganz genau die Bestimmung, welche Hipparch von der Länge des tropischen Jahres gab und Ptolemäus von ihm recipirte. Der Verfasser des Ro. Si. bequemt sich daher insofern dem indischen Gebrauche an, als er ein aus ganzen Tagen bestehendes Yuga annimmt, vermittelst dessen
I. AsTRONOiMiE. — Dritte Periode. 43
der Ahargana in der gewöhnlichen Weise berechnet werden kann, emancipirt sich aber zugleich von den grossen traditionellen Perioden, die sonst ange- wendet werden. Kein anderes indisches Werk bedient sich ferner des tro- pischen Jahres. Die Regel, welche V.M. nach dem Ro. Si. zur Berechnung des Ahargana aufstellt, gibt Resultate für den Meridian von Yavanapura, nicht für den von Ujjayinl. Die Länge des Sonnen-Apogäums wird auf 75° an- gegeben. Die Centrumsgleichungen der Sonne werden für 15 zu 15° der Anomalie angegeben; die grösste Gleichung ist nahezu identisch mit der von Hipparch und Ptolemäus angenommenen, während der gewöhnliche in- dische Wert erheblich geringer ist als der der griechischen Astronomen. Eine allgemeine Regel zur Berechnung der Centrumsgleichungen fehlt, für Sonne sowohl als Mond. Die grösste Centrumsgleichung des Mondes wird auf 4" 56' angegeben. Die Regeln zur Berechnung von Eklipsen sind von dem allgemeinen indischen Charakter, doch weniger genau als die des Sürya-Sid- dhänta. Der Ro. Si. scheint sich auf die Bewegungen der Sonne und des Mondes beschränkt zu haben; wenigstens enthält die P. S. keine Angaben über die Planeten nach diesem Siddhänta. Das Werk scheint im ganzen ge- nauere Regeln gegeben zu haben als der Paulisa-Siddhänta, dagegen dem S. S. nachgestanden zu haben. V.M. nennt den S. S. »spastatara« als die beiden anderen Siddhäntas.
Über den Ro. .Si. vgl. die zu Anfang von Note § 26 genannten Quellen.
S 29. Dritte Periode. — Die Frage der Entlehnung von den Griechen. — Die obige Übersicht über das in den grundlegenden Siddhäntas Gelehrte ermöglicht es nun, der Frage näher zu treten, auf welchen Funda- menten ihr System sich aufgebaut hat. Wir halten uns hier zunächst an den S. S., der die Lehre dieser Periode in ihrer höchst entwickelten Form darstellt.
Dass ein System von dem wesentlichen Inhalte des S. S. im ganzen auf derselben Stufe steht, wie die griechische Astronomie, die uns aus dem grossen Werke des Ptolemäus bekannt ist, leuchtet sofort ein. Wenn wir von den speciell indischen Anschauungen und Rechnungsmethoden absehen und unsere Aufmerksamkeit auf den dann übrig bleibenden Kern von astronomischer Einsicht und Kenntnis richten, so finden wir, dass ein mit den Regeln des S. S. operirender Rechner im ganzen kaum weniger leisten kann, als ein nach den Grundsätzen der Syntaxis verfahrender Astronom. Und zwar erstreckt' sich diese Übereinstimmung nicht nur über den eigentlichen Fond des astro- nomischen Wissens, sondern auch über Methoden, die durchaus nicht selbst- verständlich sind. In diesem Zusammenhang ist besonders darauf zu verweisen, dass die Ungleichheiten in der Bewegung der Himmelskörper vermittelst der Annahme von Epicyklen und, wie wir hier gleich beifügen können, von ex- centrischen Kreisen berechnet werden; denn diese, obwohl im S.S. nicht angewendet, sind anderen Werken dieser Periode Avohlbekannt. Es drängt sich uns daher sofort die Frage auf, ob nicht zwischen den beiden Systemen ein historischer Zusammenhang besteht. Dass zwei Nationen ganz unabhängig von einander eine wesentlich gleiche Stufe astronomischen Wissens erreicht haben und noch dazu auf Ansichten und Rechnungsmethoden gekommen sein sollten, die keineswegs als unvermeidhch bezeichnet werden können, ist freilich nicht absolut unmöglich, aber jedenfalls nicht sonderlich wahrschein- lich; und es wäre sicherlich die befriedigendere Erklärung der Ähnlichkeit der beiden Systeme, wenn sich nachweisen Hesse, dass das eine von dem anderen historisch abhängig ist. Wir wollen kurz die beiden sich hier er- gebenden Alternativen ins Auge fassen und weiterhin die, natürlich nicht ganz auszuschliessende, MögUchkeit einer unabhängigen Entwicklung auf beiden Seiten in Betracht ziehen.
44 ni. Religion, weltl.Wissensch.u. Kunst. 9. Astronomie u. s.w., Mathematik.
Sollte die griechische Astronomie von Indien aus beeinflusst worden sein? — Abgesehen von dem später zu erwähnenden vermutlichen Alter der indischen Systeme, welches dies unwahrscheinlich macht, ist zu be- merken, dass die uns wenigstens in ihren Umrissen bekannte Entwicklungs- geschichte der griechischen Astronomie zu der Annahme indischer Einwirkung durchaus keinen Anlass giebt. Wir kennen die allmählich auf griechischem Boden gemachten Fortschritte, die schliesslich zu dem ^\^erk des Ptolemäus führten, und können daher begreifen, wie dieser sein grosses System auf- zubauen im Stande war. Wir besitzen, was besonders hervorzuheben ist, genaue Nachrichten über eine Reihe von astronomischen Beobachtungen, die den griechischen Theorieen zu Grunde lagen. Wir kennen die gross- artige Entwicklung der griechischen Mathematik, besonders der Geometrie, die mit der Entwicklung der Astronomie in genauem Zusammenhange steht. Und dazu kommt, dass die in dieser Hinsicht völlig unbefangenen und auf- richtigen Griechen vielfach auf die chaldäische Astronomie als Quelle der Belehrung hinweisen, während der indischen Astronomie nirgends Erwähnung geschieht. — Sollte also die indische Astronomie von den Griechen ent- lehnt oder wenigstens beeinflusst sein? — Die Inder selbst lehnen dies ab, wenigstens soweit es sich um die Grundzüge ihres Systems handelt. Der S. S. selbst gibt sich, in den einleitenden Versen, für eine göttliche Offenbarung aus, die vor MiUionen von Jahren gemacht worden sei; und alle späteren astro- nomischen Schriftsteller, mögen sie dem S. S. oder anderen Autoritäten folgen, hegen keinen Zweifel an dein enormen Alter und dem völlig nationalen Cha- rakter ihres astronomischen Systems. Der Gedanke einer allmählichen Ent- wicklung des Systems ist somit den Indern ganz fremd, und die Abwesenheit irgend welcher Evidenz für eine solche Entwicklung macht ihnen daher keine Sorgen. Der moderne Forscher andrerseits, der mit dem Charakter derjenigen indischen astronomischen Kenntnisse vertraut ist, die wir oben unter der zweiten Periode dargestellt haben, und sich dann einer Gruppe von \\'^erken gegen- über sieht, die wie der S. S. ein unendlich weiter vorgeschrittenes Wissen repräsentieren, wird natürlich nach den Bedingungen fragen, unter denen sich das Vollkommenere aus dem Unvollkommeneren entwickelt hat; und, wenn solche Bedingungen zu fehlen scheinen, wird er geneigt sein, anzunehmen, dass es sich hier nicht um eine stetige innere Entwicklung handelt wie die auf griechischem Boden, sondern um eine plötzliche Erweiterung des Wissens durch fremde Einflüsse. Ein solcher Einfluss könnte nun kaum von irgend anderswo als von Griechenland gekommen sein — insofern wir nämlich das völlig ent- wickelte indische System ins Auge fassen, wie es uns im S. S. vorliegt — ; und der sich natürlich darbietende Schluss ist daher, dass die Inder ebenso wie die Völker des westlichen Asiens und alle modernen Nationen bei den Griechen in die Schule gegangen sind.
Dazu kommt nun der bezeichnende Umstand, dass das Bestehen einer bedeutend entwickelten griechischen Astronomie von gewissen indischen Autoren selbst anerkannt wird, und dass sich ferner in indischen astronomischen und astrologischen Werken technische Ausdrücke vorfinden, die ganz unzweideutig griechischen Ursprunges sind. In ersterer Beziehung ist auf den schon erwähnten Passus aus Garga hinzuweisen (erhalten bei Varäha-Mihira), welcher sagt, dass »obschon Mlecchas, die Yavanas (Griechen), bei denen diese Wissenschaft (Astronomie) sich wohl gegründet vorfindet, geehrt werden, als wären sie Rsis«. Es ist weiter bemerkenswert, dass in den einleitenden Versen des uns vorliegenden S. S. die Wissenschaft der Astronomie als eine von Sürya dem Asura Maya in der Romaka-Stadt gemachte Oftenbarung bezeichnet wird; hier bleibt die Erwähnung von Romaka merkwürdig, auch wenn wir nicht
I. Astronomie. — Dritte Periode. 45
geneigt sein sollten, mit A. Weber anzunehmen^ dass unter dem »Asura Maya« der Name des Astronomen Ptolemäus verborgen sei — eine Hypothese, die sich darauf gründet, dass in den Asoka-Inschriften der Name eines Gliedes des ägyptisch-griechischen Herrschergeschlechts der Ptolemäer in der Form »Turamaya« erscheint. Im S. S. selbst finden sich schon einige Wörter, die unzweifelhaft griechischen Ursprungs sind, darunter als das wichtigste y^ke/idrav^, womit die Entfernung des mittleren Planeten von der Apsis, die mittlere Anomalie, bezeichnet wird; dieser Ausdruck geht unzweifelhaft auf xsvTpov zurück, da der mittlere Ort des Planeten zusammenfällt mit dem Orte des Centrums des Epicykels. Es ist zu beachten, dass hier ein unzweifel- haft griechisches Wort in Verbindung mit einem der Processe erscheint, welche, was wir wissenschaftliche Astronomie nennen dürfen, von primitiver Astronomie unterscheiden, nämlich dem Process der Bestimmung der wahren Anomalie auf Grund der mittleren. Eine grosse Anzahl griechischer Termini findet sich weiterhin in den Schriften des im 6. Jahrhundert lebenden Varäha-Mihira, darunter die griechischen Namen der Zeichen des Zodiaks und der Planeten und viele astrologische Bezeichnungen. Es ist femer hier an den schon erwähnten Umstand zu erinnern, dass V. M. mit dem Längenunterschied von Ujjain und Yavanapura, d. h. Alexandria, bekannt war. — Auf Grund all dieser äusseren Indicien, in Vereinigung mit den oben erwähnten inneren Wahr- scheinlichkeitsgründen, hat sich daher schon seit längerer Zeit die ^Mehrzahl der competenten Forscher dafür entschieden, dass die wissenschaftliche Astro- nomie der Inder als ein Ableger griechischer Wissenschaft zu betrachten sei. Um diesen Schluss als völlig gerechtfertigt erscheinen zu lassen, müssen jedoch mehrere Punkte einzeln erörtert werden. Die erste Frage ist, welcher Zeit die grundlegenden Werke der indischen wissenschaftlichen Astronomie angehören, und ob sie nicht etwa früher anzusetzen sind als die wissenschaft- liche griechische Astronomie. Der S. S. enthält keine Angabe über die Zeit seiner Entstehung (wir sehen hier natürlich ab von der einleitenden Behaup- tung eines fabelhaften Alters des Werkes). Als äussere Evidenz haben wir aber die wichtige Thatsache, dass der S. S. dem unzweifelhaft im 6. Jahrhun- dert der christlichen Ära lebenden Varäha-Mihira vorlag, zugleich mit vier anderen Siddhäntas, und dass diese Werke damals bereits eine autoritative Stellung hatten, die es wahrscheinlich macht, dass sie geraume Zeit vor V. M. entstanden sind. V. M. erwähnt ferner eine Anzahl individueller Astronomen, die sich schon vor ihm mit diesen Siddhäntas beschäftigt hatten. Einer von diiisen Astronomen ^war Aryabhata, von dem wir ein nach seiner eigenen Angabe im Jahre Saka 421 verfasstes Werk besitzen. Diese Thatsachen machen es wahrscheinlich, dass der S. S. und einige andere Siddhäntas wenig- stens einige hundert Jahre vor 500 A. D. anzusetzen sind; dass mehr als zwei bis drei Jahrhunderte nötig wären, Hesse sich behaupten aber auch bestreiten. Sehen wir uns nach innerer Evidenz um, so haben wir zunächst die oben erwähnte Thatsache, dass in den Angaben über die Längen der Naksatras der Stern C Piscium als ganz dicht bei dem Punkte liegend bezeichnet wird, von dem aus die Werke dieser Periode allgemein die Präcession der Aquinoctien berechnen. Dieser Stern lag nun im Punkte des Frühlingsäquinoctiums um 570 A. D., und es ist daher gewöhnlich angenommen worden, dass dies so unge- fähr die Zeit sei, um welche das moderne System der indischen Astronomie eine feste Gestalt angenommen habe. Dieser Schluss ist aber erstens mit der oben erwähnten Evidenz im AViderspruch und ist zweitens an sich selbst nicht berechtigt. Den älteren Werken dieser Periode war die Thatsache der Prä- cession anscheinend unbekannt; die darauf bezügliche Stelle im modernen S. S. scheint später eingeschoben zu sein; V.M. in der Pancasiddhäntikä tliut ihrer
46 III. Religion, weltl.Wissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u. s.w., Mathematik.
nirgends Erwähnung. Es wurde daher wahrsclieinlich im Anfange gar keine Unterscheidung zwischen dem siderischen und dem tropischen Jahre gemacht, und der Punkt der Sphäre, an dem das Äquinoctium lag, galt für einen festen. Nun wird der Anfangspunkt der Sphäre — von dem aus die Längen gemessen werden — allgemein als asiiny-ädi bezeichnet d. h. als erster Punkt des Ab- schnitts der Ekliptik, zu dem das Sternbild Asvini (= a und ß Arietis) gehört. Dieser Abschnitt umfasst aber, wie die anderen Naksatras, 13° 20', von denen ungefähr 12" westlich von dem Sterne ß Arietis liegen; so dass als der Anfangspunkt des Abschnittes irgend ein Punkt angesehen werden könnte, welcher zwischen dem Conjunktionsstern von RevatT und dem Stern ß Arietis liegt. Wir haben daher als die Periode, in welcher der Terminus as'viny-ädi als Bezeichnung des Frühlingspunktes aufgekommen sein könnte, den ganzen Zeitraum von etwa 300 v. Chr. bis 5 70 n.Chr. Welchen Zeitpunkt in dieser Periode wir schliesslich wählen, wird von anderen Erwägungen abhängen. Die Be- stimmung freilich, dass der Stern C Piscium ganz dicht bei as'viny-ädi liegt, konnte erst um das Ende der genannten Periode gemacht werden; es nötigt uns aber nichts anzunehmen, dass diese Bestimmung bereits im ursprünglichen S. S. oder den anderen älteren Siddhäntas enthalten war.
Es ist hier die weitere Frage ins Auge zu fassen, welche Werke der griechischen Astronomie als bestehend anzunehmen sein würden^ zu der Zeit, als die wissenschaftliche indische Astronomie ihre grossen Entlehnungen von Griechenland machte. Wir denken hier natürlich zuerst an das grosse um 140 A. D. verfasste Werk des Ptolemäus, welches allein eine vollständige Darstellung des griechischen astronomischen Wissens enthält. Es ist nun aber schon längst bemerkt worden, dass eine Anzahl von den charakteristischen Zügen der Lehre des Ptolemäus im S. S. und überhaupt im indischen System nicht anzutreffen sind: so z. B. die von Ptolemäus entdeckte zweite Ungleichheit des Mondes, die sogenannte Evektion. Und weiterhin — was ein noch wichtigerer Umstand ist — finden sich zwischen Ptolemäus und den Indern zahlreiche Verschiedenheiten, besonders in numerischen Elementen auch da, wo sie im ganzen dieselben Methoden befolgen; man beachte z. B. die meist bedeutend von einander abweichenden Angaben über die Dimensionen der Epicyklen und die Lage der Apogäen. Solche Discrepanzen machen es jedenfalls ganz unwahrscheinlich, dass die Syntaxis die direkte — oder über- haupt irgendwie eine — Quelle des indischen Wissens gewesen sein sollte. Dieses Ergebnis schliesst nun aber in keiner Weise die Annahme aus, dass das indische System von anderen griechischen Werken abhängig ist. Wir wissen, dass alle eigentlich wesentlichen Teile des griechischen Systems schon von Hipparch ausgearbeitet worden waren, und dass von gewissen bedeutenden Methoden schon Hipparchs Vorgänger Kunde hatten; so wird z. B. die Er- findung der Methode der Epicyklen dem ApoUonius von Perga zugeschrieben. Der einzige Einwand, der, so weit ich sehe, sich gegen die Ansicht vorbringen Hesse , dass das System des S. S. auf Werken der Vorgänger des Ptolemäus beruhen kann, ist, dass Ptolemäus für sich das Verdienst in Anspruch nimmt, zuerst eine Planetentheorie gegeben zu haben, welche auf Basis der Annahme zweier Ungleichheiten der Planeten es unternimmt, den Erscheinungen volle Rechnung zu tragen, ohne dabei mit der Forderung in Widerspruch zu treten, dass alle anscheinenden Unregelmässigkeiten aus der Verbindung von excen- trischen Kreisen und Epicyklen zu erklären sind. Dies schliesst aber nicht aus, dass schon vor Ptolemäus wenigstens Versuche in derselben Richtung gemacht worden waren; Hipparch kannte die beiden Ungleichheiten, und die Urheber der sogenannten »immerwährenden Tafeln« hatten, wie es scheint, es schon unternommen, Planetehtafeln mit der Annahme zweier Ungleichheiten
I. Astronomie. — Dritte Periode. 47
zu berechnen. Es ist überhaupt schon a priori ganz unwahrscheinlich, dass, nachdem man einmal die beiden Ungleichheiten erkannt und die Theorie der Epicyklen und excentrischen Kreise erdacht hatte, in der ganzen Periode zwischen Hipparch und Ptolemäus es niemand versucht haben sollte, die erworbene Einsicht auf die Berechnung der Planeten praktisch anzuwenden. — Wir sind freilich nicht in der Lage, über diesen Punkt detaillierte Hypothesen aufzustellen. Das grosse Ansehen, das sich das Werk des Ptolemäus erwarb, war die Ursache, dass fast die ganze ältere astronomische Litteratur der Grie- chen in Vergessenheit geriet und uns nicht erhalten ist; und ferner besitzen wir keine der mehr praktischen u^d populären Handbücher, die es sich zur Aufgabe gemacht haben mögen, so viel astronomisches Wissen in leicht fass- licher Form mitzuteilen, als etwa zur Berechnung des Kalenders und zu astro- logischen Zwecken erforderlich war. Dass solche Handbücher im Gebrauch waren, in Alexandrien sowohl als an anderen Orten, versteht sich aber von selbst; und die Form der alten indischen Werke, die sich alle wesentlich darauf beschränken, praktische Rechnungsregeln zu geben, lässt es als eine wahrscheinliche Vermutung erscheinen, dass ihr Vorbild nicht umfangreiche theoretische Werke, sondern concise praktische Handbücher waren. Der ursprüngliche Paulisa-Siddhänta scheint ein durchaus auf leichte Berechnung ausgehendes Werk gewesen zu sein; und dies ist ja wesentlich auch der Cha- rakter des S. S. selbst. Der Romaka-S. scheint gerade so viel enthalten zu haben, als zur Berechnung des lunisolaren Kalenders und der Mond- und Sonnenfinsternisse nötig war. Der speciell griechische Charakter des Ro. Si. ist evident; die genaue Übereinstimmung des von ihm angenommenen tro- pischen Jahres mit dem von Hipparch bestimmten und von Ptolemäus reci- pirten ist der einzige Fall, in dem sich die indische numerische Bestim- mung genau mit der griechischen deckt. Dies berechtigt uns aber nicht, etwa zu behaupten, dass während der Ro. Si. als griechischen Ursprungs zu betrachten sei, das vom S. S. repräsentierte System rein indischen Ur- sprungs sein sollte. Gegen die letztere Annahme bleibt die allgemeine UnWahrscheinlichkeit des unabhängigen Ursprungs zweier radikal verwandter Systeme in voller Kraft. — Zum Beleg der Vermutung, dass die Schriften der griechischen Astrologen Lehren enthalten haben mögen, die mit denen der indischen Werke verwandt waren, möge hier schliesslich auf die von BioT (Etudes sur l'Astronomie Lidienne p. 205) hervorgehobene Thatsache ver- wiesen werden, dass nach Theon, dem Commentator des Ptolemäus, die ale- xandrinischen Astrologen das, was die Astronomen als eine stätige Präcession des Äquinoctiums erklärten, als eine periodische Libration desselben darstellten, welche um einen mittleren im Sternbild der Fische gelegenen Punkt statt- findet.
Zu einer definitiven Entscheidung der Frage, wann das den älteren Sid- dhäntas zu Grunde liegende astronomische Wissen vom Westen her in Indien Eingang fand, kann man daher kaum kommen. Gegen die Annahme, dass dies früher geschehen sein sollte als Ptolemäus, lässt sich nichts Wesentliches ein- wenden; andrerseits kann man nicht bestimmt behaupten, dass, weil die in- dischen Lehren so vielfach von denen des Ptolemäus abweichen, die Ent- lehnung vor der Zeit des letzteren gemacht sein muss. Auf den Namen des Paulisa-Siddhänta Ge>vicht zu legen ist nicht rätlich, da die Ableitung desselben unsicher ist. Dagegen leitet allerdings der Name des unzweifelhaft vom Westen abhängigen oder doch beeinflussten Romaka-Si. auf eine Zeit hin, als das Ansehen Roms sich schon so weit nach Osten verbreitet hatte, dass Lehren, die etwa aus Alexandria stammten, sich natürlich mit dem Namen der grossen Metropole des Westens verknüpften.
48 III. Religion, weltl.Wissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u.s.w., Mathematik.
Es Hesse sich nun allerdings gegen all dieses noch die Hypothese auf- stellen, dass die griechische Astronomie den Hindus zwar nicht ganz unbe- kannt geblieben sei, dass auf solchen Einfluss vereinzelte Bestimmungen wie die des tropischen Jahres im Romaka-Siddhänta und natürlich alle die grie- chischen tcrmini kchnici zurückzuführen seien, dass aber der Kern des Systems, welches uns im S. S. vorliegt, eine durchaus unabhängige indische Schöpfung sei. Das wichtigste Argument, das sich für diese Ansicht aufführen Hesse, ist der schon erwähnte Umstand, dass eine nicht unbeträchtliche Reihe astro- nomischer Werte sich im indischen System anders bestimmt finden als bei Ptoleraäus und der griechischen Astronomie im allgemeinen, soweit sie uns bekannt ist. Einige der Unterschiede lassen sich nun sofort aus der Form erklären, in die das indische System sich gekleidet hat. Insbesondere machte die Anwendung der grossen Zeitperioden, die bestimmte Zahlen von ganzen Umläufen der Planeten enthalten müssen, Änderungen in der Dauer dieser Umläufe sofort notwendig; und da zugleich das indische System mit siderischen Umläufen rechnet, während Ptolemäus tropische anwendet, so er- geben sich natürlich bedeutende Unterschiede. Wie etwa die griechischen tropischen Umläufe in die indischen siderischen umgewandelt wurden, lässt sich freilich nicht sagen; die Differenzen sind so heterogen, dass sie sich aus einer methodischen Umwandlung, die mit einem und demselben Werte der Präcession operirte, nicht erklären lassen; und dazu kommt noch, dass, wie schon bemerkt, die Kenntnis der Präcession im früheren Teil dieser Periode den indischen Astronomen ganz gefehlt zu haben scheint. Zu weiterem Be- denken freilich geben die Fälle Anlass, wo der S. S. richtigere Werte hat als Ptolemäus. Dahin gehört z. B. die Angabe des S. S. über die Lage des Sonnen-. Apogäums, welche bedeutend besser ist als die entsprechende bei Ptolemäus; dann die Bestimmung des Betrags der grössten Centrumsgleichung der Sonne, in welcher die indische Asti"onomie der Wahrheit ebenfoUs bedeutend näher kommt als die uns bekannte griechische; ferner die Abschätzung des jährlichen Betrags der Präcession auf 54", verglichen mit der auf 36" bei Ptolemäus, und Ahnhches mehr. Die Discrepanzen dieser Classe verdienen jedenfalls eine gründUchere Untersuchung, als sie bisher gefunden haben. Immerhin glaube ich nicht, dass die Forschung schliesslich zu dem Schluss kommen sollte, dass wir es hier mit gänzlich unabhängigen indischen Be- stimmungen zu thun haben. In erster Linie ist die schon erwähnte Thatsache im Auge zu behalten, dass wir durchaus nicht mit all den griechischen Be- stimmungen und Hypothesen bekannt sind, welche auf das indische System Eintluss gehabt haben mögen. Es ist nicht unmöglich, nicht einmal besonders unwahrscheinlich, dass Ptolemäus in einzelnen Fällen bessere von früheren griechischen Astronomen gefundene Werte zu Gunsten eigener, weniger voll- kommener Bestimmungen verworfen hat; seine Annahme einer Präcession von 36 ' — für die Hipparch jedenfalls einen bedeutend höheren W^ert an- gegeben haben würde — ist dafür ein thatsächliches Beispiel. An zweiter Stelle ist auch die Hypothese nicht ganz auszuschliessen, dass in einzelnen Fällen die richtigeren indischen Werte auf Verbesserungen beruhen, die auf indischem Boden gemacht wurden und auf Beobachtungen fussen. Dass solche Beobachtungen wirklich gemacht wurden, ist wohl ausser Zweifel und wird schon dadurch, wenigstens für spätere Zeit, erwiesen, dass von Zeit zu Zeit sogenannte Bijas, d. h. Verbesserungen, eingeführt wurden, die darauf ausgingen, die astronomischen Elemente mit den thatsächlichen Verhältnissen der Periode in Einklang zu setzen. Freilich beschränken sich dieselben im ganzen auf die mittleren Bewegungen der Himmelskörper, wo Verbesserungen am leich- testen zu machen waren. Und selbst, wenn wir einen Grund sehen sollten.
I. Astronomie. — Dritte Periode. 49
anzunehmen, dass in einer früheren Periode weitgehende Verbesserungen der griechischen Resultate nach einem richtigen System gemacht wurden, so bliebe doch immer noch ein bedeutender Unterschied zwischen einer solchen Annahme und der Behauptung, dass das ganze System ursprünglich von den Indern selbständig ausgearbeitet worden sei. Wenn man einerseits die Art und Weise kennt, in der Hipparch und Ptolemäus vermittelst geschickter Verknüpfung von Beobachtungen — unter denen sich viele alte chaldäische befinden — die Werte der astronomischen Constanten bestimmten, und andrerseits bedenkt, dass in der ganzen indischen astronomischen Litteratur sich keine einzige Beobachtung verzeichnet lindet, so wird man wenig geneigt sein, den Indern ebensogut die Errichtung eines selbständigen Systems zuzutrauen wie den Griechen. Man wende hiergegen nicht ein, dass es die allgemeine Eigentüm- lichkeit indischer Darstellung ist, die Schritte nicht mitzuteilen, durch welche irgend ein Resultat erzielt wird, sondern nur das Resultat selbst; denn ein gedeihlicher Fortgang einer exakten Wissenschaft, wie die Astronomie es ist, lässt sich durchaus nicht vorstellen, wenn nicht jeder Beobachter und The- oretiker es seinen Nachfolgern ermöglicht, die Prämissen seiner Schlüsse einer genauen Prüfung zu unterziehen. Wir können diesen Punkt hier nicht aus- führlicher erörtern und weisen nur noch darauf hin, dass die Aufschlüsse, die uns spätere Theoretiker wie Bhäskara über die Methoden geben, vermittelst derer nach ihrer Ansicht astronomische Werte festzustellen sind, wenig dazu angethan sind, uns in dem Glauben zu bestärken, dass das indische System selbständig auf Grund originaler Beobachtungen von den Indern sollte auf- gebaut worden sein.
Es muss hier allerdings noch weiter darauf hingewiesen werden, dass das, was wir nun aus der Paücasiddhäntikä über die anderen frühen Siddhäntas — ausser dem S. S. — wissen, die Entscheidung der Frage nach dem Ursprung des Systems einigermassen erschwert. Dass die Lehre des Romaka eine Entlehnung von Griechenland ist, daran ist nicht zu zweifeln; aber gerade der Umstand, dass die Lehre des S. S. so bedeutend von der des Romaka abweicht, scheint darauf hinzuweisen, dass die Quelle des ersteren von der des letzteren ver- schieden war. Und selbst der Romaka weicht in einigen Punkten bedeutend von den uns bekannten Lehren der griechischen Astronomie ab. Und wenn wir den Väsistha-Siddhänta mit seinen Annäherungsregeln betrachten, so sehen wir uns noch weiter von Hipparch und Ptolemäus entfernt. Für die Theorie des Väsistha (und, wie es scheint, auch des Paulisa), dass die Geschwindigkeit der Bewegung des Mondes täglich um den gleichen Betrag ab- oder zunimmt, findet sich in der griechischen Astronomie kein Analogon. M. P. Kharegat weist darauf hin, dass nach Alberüni ein altpersisches Jahr existirte, das die Länge von 365' 6^^ 12' hatte, was genau der im alten Paulisa-Siddh. an- genommenen Länge entspricht, und zeigt ausserdem, dass Varäha-Mihira einen Kalender kannte, welcher der von Yasdegird bin Shapur festgestellten Form des persischen Kalenders genau entspricht. Eine Beeinflussung der indischen Astronomie von Persien aus wäre daher nicht auszuschliessen; nur wissen wir leider fast nichts über die astronomischen Kenntnisse und Methoden der Perser in den frühen Jahrhunderten der christlichen Ära. Und schliesslich wäre auch die Möglichkeit einer Einwirkung auf das indische System von Babylon aus in Erwägung zu ziehen, ehe man für die Selbständigkeit der indischen Astronomie dieser Periode Partei nimmt.
Wir haben oben gesehen, dass nach dem S. S. — und so nach allen anderen astronomischen Lehrbüchern — der erste Meridian über UjjayinI geht. Diese Stadt muss daher jedenfalls als der ursprüngliche Sitz des wissen- schaftlichen astronomischen Systems in der uns allein vorliegenden Form
Indo-arische Philologie III, 9. 4
50 III. Religion, weltl.Wissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u. s.w., Mathematik.
angtsehen werden. Der Umstand nun, dass Ujjayinl im westlichen Indien liegt, trägt auch dazu bei, es wahrscheinlich zu machen, dass der anzunehmende grie- chische Einfluss über die See von Alexandrien kam; zwischen diesem Orte und der Westküste Indiens bestand in den ersten Jahrhunderten der christ- Uchen Ära ein reger Handelsverkehr. Sollten sich Gründe zeigen, westliche Ein- flüsse in noch früherer Zeit anzunehmen, so könnte man natürlich auch an die griechischen Königreiche im Nordwesten Indiens denken, welche von den Nachfolgern Alexanders errichtet wurden; und es wäre dabei an die Thatsache zu erinnern, dass in einigen Inschriften der Sakas und Kusanas (Cunningham, Book of Ind. Eras, p. 41) aus dem Nordwesten Indiens die macedonischen Namen der Monate neben den indischen erwähnt werden. Einstweilen aber liegen keine Gründe vor, über Möglichkeiten dieser Art weiter zu spekuheren. Die Frage nach dem Ursprung der wissenschaftlichen indischen Astronomie findet sich besonders eingehend behandelt in den öfters genannten Abhandlungen HiOTS und in den Noten Whitneys zur Übersetzung des S. S. fJAOS. VIj. Diese Gelehrten erklären sich beide für den griechischen Ursprung des Systems. Vgl. ferner die Einleitung zur P. S. (s. § 34, Anm.). — Dass das indische System wesentlich original ist, und nur einige Einzelheiten von den Griechen entlehnt hat, ist die Hauptthese, welche S. B. DiKSiT in seinem wichtigen historischen Werl<e verficht. Seine Ansichten erfordern eine gründlichere und ausführlichere Behandlung, als ich oben im Text zu geben in der Lage war. — Über astronomische und astro- logische Termini technici von griechischem Ursprung vgl. Burgess, Note on Hindu Astronomy JRAS. 1893, p. 746 ff.
§ 30. Dritte Periode. — Charakter der späteren Werke. — Von den fünf grundlegenden Siddhäntas ist, wie erwähnt, nur einer er- halten, und auch dieser nur in modifizierter Gestalt. Auch scheint es, dass nur dieser eine, der S. S., von wesentlichem Einfluss auf die weitere Ent- wicklung der indischen Astronomie war. Der Paitämaha-Si. stellte ein völlig ver- altetes System dar; und auch der Väsistha-Si. war viel zu primitiv, um sich in einflussgebender Stellung zu behaupten. Die charakteristischen Züge des Roniaka, besonders sein tropisches Jahr, erscheinen in keinem der späteren Werke. Und derjenige Paulisa, der später so viel erwähnt wird, der dem Alberüni z. B. als eines der massgebenden indischen astronomischen Werke vorlag, war in keiner Weise der ursprüngliche, sondern ein gänzlich umgearbeitetes und dadurch dem S. S. nahe gebrachtes Werk. Das Umarbeiten älterer Werke, um sie den vorgerückteren Ideen der Zeit gerecht zu machen, scheint überhaupt zur Zeit Aryabhatas und späterhin beliebt gewesen zu sein; wir haben das direkte Zeugnis Brahmaguptas betreffs solcher Umarbeitungen des Romaka- und des Väsistha-Siddhänta. Alle diese Umarbeitungen scheinen das Resultat gehabt zu haben, dass die Züge, in denen ältere Siddhäntas sich charakteristisch vom S. S. unterschieden, sich verwischten, und diese Werke so dem S. S. ähnlicher wurden.
Wenn wir die ganze sehr umfangreiche astronomische Litteratur betrachten, welche später ist als die grundlegenden Siddhäntas, und die sich von Arya- bhata bis auf die neueste Zeit herunterzieht, so treffen wir eigentlich auf nichts wesentlich Neues, das uns berechtigte, von einer weiteren wahrhaften Ent- wicklung der Astronomie in Indien zu reden. Wir sehen hier vom späteren Einflüsse der arabisch-persischen Astronomie ab. Die Grundzüge des Systems und die Hauptmethoden bleiben durchaus dieselben. Die mittleren Bewe- gungen werden hie und da abgeändert und im Lauf der Zeit, als die Dis- crepanz zwischen den alten Werten und den thatsächlichen Verhältnissen nicht mehr zu übersehen war, verbessert. Die Methode zur Berechnung der wahren Bewegungen und Örter bleibt wesentlich dieselbe; erwähnt mag werden, dass schon bei Äryabhata und so. späterhin excentrische Kreise deutlich von den Epicyklen unterschieden und neben ihnen angewendet werden. Die Werte
I. Astronomie. — Dritte Periode. 51
der Excentricitäten und dergleichen erfahren einige Abänderungen, die aber durchaus nicht immer Verbesserungen sind. Genauere Bestimmungen des Betrags der Sinus finden sich bei Bhäskara. Die Methoden zur Auffindung der geographischen Breite, Zenithdistanz und Höhe der Sonne, Zeit des Auf- gangs der Zeichen der Ekhptik etc. (alles das, was. im sogenannten Tri- prasna-Abschnitt der Siddhäntas abgehandelt zu werden pflegt) werden aus- gearbeitet und in Einzelheiten vervollkommnet, aber nicht wesentlich bereichert. Dasselbe muss von den Methoden zur Berechnung der Mond- und Sonnen- finsternisse — worin die indische Astronomie ihre Hauptaufgabe sieht — gesagt werden. Wie fern der Gedanke einer eigentlichen Erweiterung der Astronomie den Autoren dieser ganzen Periode lag, mag z. B. dadurch illustriert werden, dass niemand es sich einfallen Hess, die Länge und Breite anderer Eixsterne festzustellen als der ganz wenigen, die schon in den alten Siddhäntas Beach- tung gefunden hatten. Die Form der Darstellung bleibt im wesentlichen während der ganzen Periode dieselbe; und die Materien werden in derselben Reihenfolge abgehandelt. Kein einziges Werk z. B. unternimmt es, die Länge eines einzelnen Umlaufs eines Himmelskörpers direkt in Jahren, Tagen, Stunden u. s. w. anzugeben; überall werden die hohen Summen von vollständigen L'mläufen aufgeführt, welche der Himmelskörper in einem enorm grossen Aggregat von ganzen Tagen vollendet; und überall wird als Ausgangspunkt der Berechnungen an der Annahme festgehalten, dass alle Himmelskörper am Anfang einer grossen Periode — sei dies das Kalpa, das Mahä}aiga oder das Kaliyuga — an demselben Punkte der Sphäre in Conjunction waren. In Übereinstimmung mit einer Tendenz, welche sich in allen Zweigen indischer Wissenschaft oftenbart, werden die astronomischen Processe und Regeln in möglichst conciser, fast immer metrischer Form gegeben, und zwar ohne jegHchen Beweis. Dies war schon das Verfahren der zweiten Periode; ein conciser, ja änigmatischer abgefasstes Werk als das Jyotisa-Vedähga lässt sich kaum denken. Dass den Verfassern der Werke die Kenntnis der Beweise ihrer Regeln und der Begründung ihrer Methoden in den meisten Fällen nicht abging, daran ist nicht zu zweifeln. Das erhellt schon genugsam aus den Commentaren, die, oft nicht viel jünger als die Originalwerke, das nach- holen, was die Texte selbst nicht geben; ihre Erklärungen leisten in der Regel alles, was verlangt werden kann. Liimerhin ist die völlige Trennung von kurzgefassten Regeln und Vorschriften auf der einen und umständlicher Erläu- terung auf der anderen Seite vielfach unbequem und hat ausserdem praktisch die Folge gehabt, dass sich viele der Astronomie Beflissene ganz auf das Lernen der concisen Textregeln beschränken und mit Hilfe derselben ihre astro- nomischen Berechnungen ausführen, ohne sich im geringsten um eigentlichen Sinn und Begründung zu bekümmern. Eine weitere missliche Folge der con- cisen Abfassung der Texte war die, dass für Schriften, zu denen alte Com- mentare entweder nicht bestanden oder im Laufe der Zeit verloren gingen, der Schlüssel zum Verständnis oft ganz abhanden kam. Dies passirte natür- Hch am leichtesten denjenigen Texten, deren Anschauungen und Methoden allmählich durch spätere verdrängt wurden und so in Vergessenheit gerieten. Es mag hier auf zwei interessante Fälle hingewiesen werden, die das eben Gesagte erläutern. Zu dem kleinen metrischen Tractat, welcher sich trotz seiner gänzlich veralteten Anschauungen bis auf den heutigen Tag als das — nominell wenigstens — offizielle Jyotisa-Vedähga behauptet hat, existiert nur ein ganz spät geschriebener Commentar, dessen Verfasser — Somäkara — offenbar durchaus keine älteren Commentare zu seiner Verfügung hatte und in Folge davon in den meisten der von ihm versuchten Erklärungen seines Textes völlig, oft in ganz lächerlicher Weise, in die Irre ging. Und als vor etwa
4»
5 2 ni. Religion, weltl.Wissensch, u. Kunst. 9. Astronomie u. s.w., Mathematik.
1 5 Jahren der Verfasser dieser Arbeit anfing, sich mit dem Texte der lange für verloren angesehenen und erst kurz zuvor von BChler wieder entdeckten Pancasiddhäntikä des Varäha-Mihira zu beschäftigen — zu welcher kein Com- mentar erhalten ist — , konnte er lange selbst unter den besten Jyotisis von Benares keinen auffinden, der im Stande war, zur Erklärung der schwierigeren Teile des Textes irgend welche namhafte Hilfe zu geben; der CoUaborator, den er schliesslich das Glück hatte sich erwerben zu können, war und ist in vieler Beziehung eine leuchtende Ausnahme unter den Jyotisis der Gegen- wart. Und aus den Anführungen aus dem Texte der Paiicasiddhäntikä, die sich bei Bhattotpala, dem berühmten Commentator der astrologischen Schriften des Varäha-Mihira, finden, scheint hervorzugehen, dass schon diesem Gelehrten Teile wenigstens der astronomischen Schrift seines Meisters nicht mehr recht verständUch waren.
Wie weit überhaupt die von uns als wissenschaftlich bezeichnete Stufe der indischen Astronomie diese Benennung verdient, wenn wir nicht nur das thatsächlich Geleistete in Betracht ziehen, sondern auch dem treibenden Geist der astronomischen Thätigkeit unsere Aufmerksamkeit zuwenden, ist eine wohl aufzuwerfende Frage. Dürfen wir bei den indischen Astronomen dasjenige theoretische Interesse am Gegenstand ihrer Bemühungen voraussetzen, in dessen Abwesenheit wir zögern \\-urden, eine an sich vielleicht bedeutende Summe von Kenntnissen und Fertigkeiten als aus wissenschaftlichem Geist entsprungen zu bezeichnen? — Es ist nun wohl kaum zu bestreiten, dass von den ältesten Zeiten an und bis auf die Gegenwart herunter es hauptsächlich zwei Triebfedern waren, welche in Indien das Studium der Astronomie im allgemeinen im Gange erhielten, erstens nämlich das durchaus praktische Bedürfnis, einen geregelten Kalender zu haben, und zweitens Interessen, die wir in weiterem Sinne als astrologisch bezeichnen können. Das erstere Be- dürfnis hat ja wohl überall, wo Astronomie gepflegt wurde, den ersten Anlass gegeben; die entwickelte Astronomie der Hindus geht aber weit über das hinaus, was zur Constitution eines leidUch genauen Kalenders nötig wäre. Dass aber bei dieser Erweiterung des astronomischen Wissens astrologische Motive bedeutend beteiligt waren, erscheint evident. Die Schriften der zweiten Periode nehmen auf die Bewegungen der Planeten nur insofern Bezug, als von ihnen gewisse Ereignisse auf der Erde als abhängig zu betrachten sind; und dass zugleich mit dem Bekanntwerden griechischer Astronomie auch wirkliche Astrologie — in der Form, die den Griechen von den Babyloniern mitgeteilt worden war — in Indien Eingang fand, ist unzweifelhaft. — Seit dieser Zeit bis auf den heutigen Tag bilden Berechnungen rein astro- logischer Art die Hauptbeschäftigung der grossen Mehrzahl der Jyotisis; und viele der in der Geschichte der Astronomie zu nennenden Autoren haben auch astrologische Handbücher verfasst. Freilich wird zuzugeben sein, dass sich die bedeutenderen Astronomen über den astrologischen Standpunkt erheben und ihrer Wissenschaft ein vorwiegend theoretisches Interesse entgegenbringen. Auf der anderen Seite aber muss man erwägen, dass selbst die namhafteren unter ihnen die Elemente des Systems als auf göttlicher Offenbarung beruhend ansehen und ihnen daher durchaus nicht mit der Freiheit des Geistes gegen- überstehen, ohne welche ein gedeihlicher Fortschritt in der Forschung nicht wohl möglich ist. Mit dieser Befangenheit des Standpunktes hängt es auch unzweifelhaft zusammen, dass, nachdem einmal das System in seinen Grund- zügen fertiggestellt war, kein eigentlich nennenswerter Versuch gemacht wurde, es wesentlich zu erweitern, gar nicht zu reden von Bestrebungen, es gründlich umzugestalten. Im ganzen wird man sagen müssen, dass selbst die bedeu- tendsten der Hindu-Astronomen an wissenschaftlichem Geiste weder mit den
I. Astronomie. — Dritte Periode. 53
grossen griechischen Astxonomen noch mit den Arabern verglichen werden können, die es sich zur Aufgabe machten, das von den Griechen errichtete System weiter auszubauen.
Die Abwesenheit eines wesentHchen Fortschritts seit der Periode der grundlegenden Siddhäntas macht es unnötig, die späteren Werke in eingehendem Detail zu betrachten. Der S. S. gibt ein im wesentHchen genaues und voll- ständiges Bild von dem Wissen und Können der Inder auf astronomischem Gebiet, was ja auch schon daraus zu schliessen wäre, dass er, mit einigen Verbesserungen, bis auf die heutige Zeit im Gebrauch geblieben ist. Abge- sehen von Einzelheiten haben daher die Werke, die wir von nun an behandeln werden, im ganzen nur eine litterarisch-historische Bedeutung. Ihr Haupt- interesse liegt thatsächlich darin, dass sie in verschiedener Weise direkte oder indirekte Aufschlüsse über die Periode der Entstehung der wissenschaftlichen Astronomie geben.
An einer umfassenden Behandlung der Unterschiede der Lehren der späteren astronomischen Lehrbücher fehlt es noch. Das Thema kann auch im allgemeinen kein anziehendes genannt werden, da man meist kein rechtes Vertrauen haben kann, dass Abänderungen in den astronomischen Elementen auf wirklich kompetenten Beobachtungen beruhen. Letzteres kann, so viel ich sehe, mit Bestimmtheit nur betreffs der mittleren Bewegungen der Himmels- körper angenommen werden, für welche von Zeit zu Zeit — blja genannte — Verbesserungen ermittelt wurden, kraft derer sich die Bestimmungen der mitt- leren Örter bis auf die Neuzeit so ziemlich im Einklang mit den wirklichen Verhältnissen erhalten haben. Über die Geschichte einiger besonderer astro- nomischer Lehren haben wir Untersuchungen bei Colebrooke, der z. B. die Lehren der wichtigsten Werke über die Dimensionen der Epicyklen zusammen- stellt. Eine Reihe von Erörterungen ähnlicher Art finden sich in S. B. DIksits Werk, wo nach Erledigung der eigentlichen Geschichte der Astronomie die Hauptmaterien des astronomischen Systems einzeln behandelt werden. Von besonderem Interesse ist die Behandlung, die S. B. DTksit der Lehre der Prä- cession der Äquinoctien, einem überdies schon von Colebrooke («On the Notions of the Hindu Astronomers, concerning the Precession of the Equinoxes etc.« As. Res. Vol. XII) erörterten Stoffe, zu Teil werden lässt. Wie schon oben bemerkt, ist die Annahme einer Libration der Äquinoctien zwischen be- stimmten Grenzen die vorherrschende geblieben; daneben findet sich aber auch die Lehre von vollständigen Umläufen.
§ 31. Dritte Periode. — Klassen von Werken. — Die späteren Werke gehören verschiedenen Kategorien an. In erster Linie haben wir Siddhäntas, d. h. Werke in der Regel von bedeutendem Umfang, in denen im ganzen in einer dem S. S. analogen Weise das vollständige System der Astronomie ausführlich dargestellt wird; die Theorie ist, dass alle Berechnungen vom Anfang des Kalpa oder des Yuga an zu machen sind. In diese Klasse gehört schon das uns erhaltene Werk Aryabhatas (obschon dies vermöge seiner höchst concisen Darstellungsweise nur von geringem Umfange ist) und dann weiterhin der Sphuta-Siddhänta des Brahmagupta. Nächst dem haben wir die sogenannten Karanawerke, die darauf ausgehen, Anleitung zu möglichst leichter und be- quemer Ausführung der hauptsächUchen astronomischen Berechnungen zu geben; sie stellen daher die Regeln in einer solchen Form dar, dass auf ihrer Basis sofort zur Rechnung geschritten werden kann, und geben alle mittleren Orter für ihre Zeit, d. h. für das Jahr der Abfassung des Karana, an, so dass die Berechnungen für ein nicht sehr weit davon abliegendes Datum mit verhält- nismässig kleinen Zahlen zu operiren haben. Zu dieser Klasse gehören z. B. die Pancasiddhäntikä des Varäha-Mihira und das Khandakhädvaka des Brah-
5 4 ni. Religion, weltl.Wissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u. s.w., Mathematik.
magupta. Andere Werke Aviederiim machen es sich zur Aufgabe, die Berech- nungen durch astronomische Tafeln zu erleichtern, so das auf den S. S. begründete Werk des Makaranda. Und schliesslich sind die zahlreichen wich- tigen Commentare zu älteren Werken zu nennen, die uns das eigentliche Verständnis der meist übermässig concis abgefassten Texte mögUch machen und ausserdem vielfach wichtige Citate aus älteren Schriften enthalten; es mag hier z. B. der Commentar Prthüdakasvämins zum Sphuta-Si. des Brahmagupta genannt werden, und der Commentar des Bhattotpala zur ikihat-Samhitä des Varilha-Mihira, der obschon ein astrologisches Werk erläuternd viele für die Geschichte der Astronomie wichtige Citate enthält
In der Besprechung der Litteratur von ÄryabhaU an — welche im Laufe der Jahrhunderte an Umfang zu- an Wichtigkeit abnimmt — müssen wir uns eine Auswahl erlauben. Bis auf Brahmagupta hat alles eine gewisse Bedeutung, auch die Autoren, deren Werke selbst uns nicht erhalten sind, die -wir daher nur aus Anführungen bei anderen Schriftstellern kennen. Nach Brahmagupta — dessen Siddhänta das letzte Werk in grösserem Stile ist, welches auf eine gewisse Originalität Anspruch erheben kann — nimmt die astronomische Litteratur erheblich an Interesse ab; und es können daher von den zahlreichen Autoren nur die aus irgend einem Grunde sich über das all- gemeine Niveau erhebenden hier genannt werden. Für weitere Details kann dabei auf zwei neuere vortreffliche Arbeiten verwiesen werden. Von diesen enthält die eine, die GanakataranginT, verfasst von Bandit Sudhäkar DvivedT, alles, was der Verfasser, gestützt auf das ihm in Benares zu Gebote stehende handschriftliche Material, über die Lebensumstände und ^^'erke von indischen Astronomen von Äryabhata bis auf die heutige Zeit herab in Erfahrung ge- bracht hat, während die oft citirte Geschichte der indischen Astronomie von S. B. DTksit eine ähnliche Darstellung enthält, welche die Pandit Sudhäkars vielfach erweitert und ergänzt.
§ 32. Dritte Periode. — Äryabhata. — Die Autoren, die hier zunächst zu nennen sind, sind Äryabhata und der beinahe gleichzeitige Varäha-Mihira. Äryabhata ist von europäischen Gelehrten vielfach für den Begründer der wissenschaftlichen Astronomie der Inder angesehen worden. Dass er auf diese Stellung keinen Anspruch machen kann, erhellt aus der oben gegebenen Darstellung der grundlegenden Siddhäntas, welche dem Varäha- Mihira als Werke von feststehender Autorität vorlagen, während er den Ärya- bhata einmal mit einer Anzahl anderer Autoren als eine Persönlichkeit erwähnt, die über einen bestimmten, nicht sehr wesentlichen Punkt des Systems eine indi- viduelle Ansicht hatte. Nach den bei Varäha-Mihira und Brahmagupta gegebenen Andeutungen dürfen wir annehmen, dass um die Zeit Aryabhatas, d. h. gegen das Ende des fünften nachchristlichen Jahrhunderts, von einer Anzahl Autoren eine rege Thätigkeit entfaltet wurde, darauf ausgehend, die Lehren der alten Siddhäntas in einzelnen Punkten zu verbessern und zu vervollständigen, haupt- sächlich aber sie in möglichst conciser, praktischer und so weit thunlich eleganter Form darzustellen. Es ist möglich, dass Äryabhata unter diesen Schriftstellern zeitlich der erste war, aber es ist dies nicht gerade besonders wahrscheinlich.
Bei Varäha-Mihira finden sich die folgenden Autoren genannt, die wir daher als zum mindesten gleichzeitig oder noch früher als Ar3'abhata anzu- setzen haben: Lata, Simha, Pradyumna, Vijayanandin. Alle diese Namen werden auch bei Brahmagupta genannt. Die geringen Details, die betreffs der drei letztgenannten gegeben werden, machen es uns nicht möglich, uns vom allgemeinen Charakter ihrer Leistungen einen Begriff zu bilden. Von Lata berichtet AlberünT, er sei der Verfasser des S. S. gewesen: dies ist aber nach
I. Astronomie. — Dritte Periode. 5 5
der Art wie seiner bei Varäha-Mihira und fjrahmagupta Erwähnung geschieht, nicht wohl möglich. Nach Varäha-Mihira commentirte er den Romaka- und den Pauhsa-Siddhänta; andere Erwähnungen machen es wahrscheinlich, dass er auch ein selbständiges Werk verfasste.
Von Aryabhata ist uns ein gewöhnlich Laghv-äryabhatiya genanntes Werk erhalten, nach seiner eigenen Angabe verfasst von ihm in Kusuma- pura, als 3600 Jahre vom laufenden Kaliyuga verflossen waren, und der Autor selbst 23 Jahre alt war. Das AVerk zerfällt in vier Teile. Ein einleitender, der aus 10 oder mit dem Schlussverse 11 Äryäs besteht un^ dasagltikä-sütra heisst, erklärt ein dem Aryabhata eigentümliches System Zahlen zu schreiben und enthält die numerischen Elemente des Systems. Der zweite, später zu erwähnende Teil gibt in 2,2, Äryäs eine kurze Darstellung von Äryabhatas arithmetischen, algebraischen und geometrischen Kenntnissen. Der dritte Teil — kälakriyäpäda — in 25 Versen, enthält die Grundzüge der astronomischen Berechnungen, während der vierte Teil — golapäda — in 50 Versen die Prin- zipien der Sphäre und der auf ihr beruhenden astronomischen Hypothesen auseinandersetzt. Die Einteilung des astronomischen Stoffes in einen berech- nenden Teil und ein von der Sphäre handelndes Kapitel, die uns hier zuerst bei Ä. Bh. begegnet, ist praktisch und von der späteren Astronomie beibehalten, ebenso die Einschliessung eines rein mathematischen Kapitels. Die astrono- mischen Lehren Ä. Bhs. stehen im ganzen auf dem Boden des S. S.; doch sind einige Eigentümlichkeiten bemerkenswert. So die Einteilung des Mahä- yuga in vier Yugas von gleicher Länge, worin er von der allgemeinen Praxis abweicht. So auch, dass er in seinen Zeitrechnungen mit Sonnenaufgang an- fängt. So ferner seine Bezugnahme auf die grossen Zeitperioden der Jainas. So ferner, dass eine Verschiedenheit des Umfangs der Epicyklen der Planeten angenommen wird, je nachdem die Anomalie in geraden oder ungeraden Quadranten liegt (I, 8. 9); wir sahen oben, dass diese Unterscheidung der ursprünglichen Form des S. S. fremd gewesen zu sein scheint, und sie ist vielleicht von A. Bh. eingeführt worden. Und vor allem die Lehre, dass die tägliche LTmdrehung der Himmelssphäre mit allen Himmelskörpern nur eine scheinbare ist, während sich in Wirklichkeit die Erde in einem siderischen Tag einmal um ihre Axe dreht. Dass diese Ansicht auch den Griechen nicht fremd war, ist bekannt; ob A. Bh. sie von dorther entlehnt hat oder selbst darauf verfallen ist, können wir nicht entscheiden. Jedenfalls hat seine Lehre in Indien nicht mehr Glück gehabt als die entsprechende Ansicht unter den Griechen; schon Varäha-Mihira und Brahmagupta bekämpfen sie, und sie ist, so viel ich weiss, von keinem späteren Astronomen angenommen worden. — Das beschriebene W^erk Äryabhatas ist das einzige uns erhaltene; es ist aber von S. B. DiKSiT gezeigt worden, dass ein anderes Werk von ihm existirt haben muss, das nämlich, auf dessen Elemente das Khandakhädyaka-karana Brah- maguptas (über welches weiter unten gehandelt wird) gegründet ist. Und es ist von grossem Interesse zu sehen, dass die Elemente des Kh. Kh. durchaus mit denen der älteren Form des S. S. übereinstimmen, die uns aus der Panca- siddhäntikä bekannt ist; Aryabhata hat also in dem für uns verlorenen Werke sich an diesen S. S. gehalten.
Über die Stellung Äryabhatas in der Geschichte der , wissenschaftlichen indischen Astronomie vgl. die Einleitung zur P. S., Ga. Ta. und SED.; ferner Kerns Einleitung zur Brhat-Saiphitä uiid eine Abhandlung von Bhäu Däji, JRAS. 1864. — Das erhaltene Werk des Aryabhata wurde unter dem Titel »Aryabhatiya« von Kern herausgegeben, Leiden 1874, zusammen mit dem Commentar des Paramädisvara.
§ 33. Dritte Periode. — Zweiter Aryabhata. Lalla^ — Wir wollen hier gleich ein weiteres Werk nennen, das sich als Aryabhata-
56 III. Religion, weltl.Wissensch.u. Kunst. 9. Astronomie u. s.w., Mathematik.
Siddhänta bezeichnet, aber jedenfalls mit dem älteren Aryabhata nichts zu thun hat. Dasselbe ist ein in 18 Abschnitten abgefasstes Werk, das sich über das ganze System der Astronomie verbreitet und einige Kapitel über Arithmetik und Algebra enthält. Am Anfang bezeichnet es sich selbst als einen von Aryabhata abgefassten Siddhänta; wer aber dieser Aryabhata ge- wesen^ wissen w'ir nicht, und auch die Zeit des Werks lässt sich nicht sicher ermitteln. Bentley setzte sie, unter Anwendung seiner gewöhnlichen Methode, auf 1322 A.D. und fand darin lleistimmung; S.B. DTksit weist aber daraufhin, dass nach Bhäskara »von Aryabhata und anderen« eine Bestimmung über die Aufgänge der Deccane gegeben wurde, und dass sich eine solche Bestimmung thatsächlich im Aryabhata-Siddhänta findet, während andererseits derselben bei Brahmagupta — der den alten Aryabhata so vielfach kritisirt — keine Erwähnung geschieht. Der Siddhänta ist daher wahrscheinlich in die Periode zwischen Brahmagupta und Bhäskara einzusetzen. Die augenfälligste Eigen- tümlichkeit dieses W'erkes ist, dass es für die Dauer der mittleren Umläufe eigentümliche W^erte hat — der Umlauf der Sonne wird auf 365' 6*' 12' 30". 84 abgeschätzt — und dass es ausserdem die Werte der Umläufe nach einem Paräsara-Siddhänta angibt. Der letztere ist sonst ganz unbekannt; der alte in der zweiten Periode erwähnte Paräsara gehört natürlich einer ganz anderen Entwickelungsstufe der indischen Astronomie an. Im Aryabhata- Siddhänta sowohl als in der angeblich dem Paräsara entlehnten Liste werden die Zahlen der Umläufe im Kalpa angegeben. Der Aryabhata-Siddhänta hat auch sein besonderes System, Zahlen vermittelst Buchstaben zu bezeichnen; das System weicht durchaus von dem des alten Aryabhata ab. — Der Sid- dhänta wird bisweilen als Mahärya-Si. bezeichnet, dann aber auch wieder als Laghvärya-Si. S. B. DTkfit nennt den Verfasser desselben, zur Unterscheidung von dem alten Aryabhata, den zweiten Aryabhata, und es wäre praktisch, diese Benennung beizubehalten.
In einem besonders nahen Verhältnis zu Aryabhata steht Lalla, von dem ein astronomisches Werk, »SisyadhTvrddhidatantra« betitelt, erhalten ist. Es folgt im ganzen genau Aryabhata, jedoch mit einzelnen Ausnahmen. Da Lalla ^Verbesserungen der nach Aryabhata gefundenen Planetenörter für das Jahr Saka 420 (das Jahr der Abfassung von X. Bhs. Werk) angibt und ausserdem von einem späteren Commentator als Schüler A. Bhs. bezeichnet .wird, hat man ihn um dieselbe Zeit wie den letzteren ansetzen wollen; es ist aber von S. B. DTkfit wahrscheinlich gemacht worden, dass Dallas Werk später ist als Brahmaguptas Sphuta- Siddhänta. Es mag daher etwa um Saka 560 an- gesetzt werden. Das Werk enthält einen Ganitädhyäya und einen Golädhyäya mit den gewöhnlichen Unterabteilungen. Lalla ist am meisten dadurch bekannt, dass verschiedene seiner Ansichten — darunter einzelne mathematische, nicht in dem obengenannten Werke enthaltene Lehren — von Bhäskara im Si. Si. kritisirt werden.
Über den nzweiten« Aryabhata vgl. .SED. Über Lalla vgl. Ga. Ta. und .SED. Das Werk Lallas wurde herausgegeben von Panclit Sudh.äkar DvivedI, Benares.
§ 34. Dritte Periode. — Varäha-Mihira. — Der zunächst zu er- wähnende wichtige Autor ist der schon bisher vielgenannte Varäha-Mihira, der Verfasser der Pancasiddhäntikä und einer Reihe von Werken astro- logischen Inhaltes, die später erwähnt werden sollen. Betreffs seiner Zeit haben wir die, freilich nicht sonderlich gut beglaubigte, Nachricht, dass er im Jahre Saka 509 starb. Ein sicherer Schluss lässt sich darauf gründen, dass er in der P. S. als Ausgangspunkt der von ihm gelehrten astronomischen Berechnungen das Jahr Saka 427 anwendet; denn es ist der Brauch der Karana- Verfasser, von einem Jahre auszugehen, das entweder mit dem Jahre
I. Astronomie. — Dritte Periode. 57
der Abfassung ihres Handbuchs zusammenfällt, oder doch wenigstens nicht weit von demselben abliegt. Die Abfassung der P. S. fällt so jedenfalls in die erste Hälfte des sechsten christlichen Jahrhunderts. Die Bedeutung des Werkes erhellt genugsam aus dem, was oben über die grundlegenden Sid- dhäntas gesagt worden ist; erst seitdem die P. S. bekannt geworden, sind wir befähigt, uns über die ältere Periode der wissenschaftlichen indischen Astro- nomie ein Urteil zu bilden. Dem, was unter den einzelnenen Siddhäntas über den Inhalt der P. S. berichtet worden ist, ist hier wenig beizufügen. V.M., unschätzbar als Berichterstatter, scheint kaum irgend welche Verdienste als selbständiger Astronom zu haben; an einer Stelle lehrt er, wie die mittleren Planetenörter, nach dem S. S. berechnet, zu verbessern seien. Der Form nach ist die P. S. ein Karana, oder — um es genauer zu bezeichnen — sie stellt die Lehren der grundlegenden Siddhäntas in Karana-Form dar. V.Ms. Werk ist das älteste Beispiel dieser Klasse, von allen späteren Werken auch da- durch unterschieden, dass es die Methoden verschiedener Siddhäntas praktisch anzuwenden lehrt, nicht nur die eines einzigen. Leider ist der Text der P. S. nur in sehr verderbter Gestalt erhalten, so dass nicht nur eine Reihe einzelner Stellen bis jetzt unerklärt geblieben sind, sondern es auch von einigen ganzen Abschnitten des Werkes nicht sicher ist, mit welchem der fünf Sid- dhäntas sie sich beschäftigen. Dazu kommt der Mangel eines alten Commen- tars. Trotz seiner ungemeinen Wichtigkeit scheint das Werk in Indien schon frühe in fast völlige Vergessenheit geraten zu sein, während die astrologischen Werke V.Ms. bis auf die jetzige Zeit eine autoritative Stellung behauptet haben. Die Pancasiddhäntikä wurde herausgegeben und, zum grösseren Teile, er- klärt und übersetzt von G. Thibaut und Mahämahopädhyäya Sudhäkara DvivedI, Benares 1S89. — Über V.M. vgl. die Einleitung zur P. .S. und SBD. ; ferner Kerns Einleitung zur Brhat-Sarnhitä, und die in der Note zu § 24 genannte Abhandlung Kharegats. Einen Beitrag zur Erklärung der P. S. enthält ferner die in der Note zu S 1 genannte Abhandlung von Burgess.
S 35. Dritte Periode. — Srisena. Visnucandra. — Die Periode Varäha-Mihiras und der Zeit, die ihn von Brahmagupta trennt, war offenbar durch eine lebhafte Thätigkeit auf astronomischem Gebiete ausgezeichnet; von den damals entstandenen Werken ist aber nur wenig erhalten. Be- sonders scheint es, dass damals mannigfache Versuche gemacht \\airden, durch Verbesserung der älteren Siddhäntas in einzelnen Punkten und die Verquickung von Lehren, die verschiedenen Quellen entstammten, Lehrbücher zu schaffen, die den beobachteten Positionen der Himmelskörper besser ent- sprachen als irgend eines der älteren Werke, für sich selbst genommen; es wurden dabei öfters die Namen der älteren Werke beibehalten, obschon ihr Charakter durch die vorgenomrnenen Änderungen wesentlich modificirt wurde. Wir haben hier besonders Srisena zu nennen, der es sich zur Auf- gabe machte, einen verbesserten Romaka-Siddhänta zu Wege zu bringen, und der daher vielfach irrig für den Verfasser des ursprünglichen Ro. Si. angesehen worden ist. Brahmagupta sagt von ihm, dass er die Regeln für die mittleren Bewegungen von Sonne, ISIond und Planeten von Lata borgte, die Regeln für die wahren Bewegungen von Äryabhata und andere Dinge von Vijayanandin und dem Väsistha-Siddhänta, so dass der Romaka-Siddhänta das Ansehen eines vielfach geflickten Gewandes annahm. Und in ähnhcher Weise wurde, nach Brahmagupta, der alte Väsistha-Siddhänta von Visnucan- dra behandelt. Da V.M. dieser Versuche, die alten Siddhäntas umzuarbeiten, keine Erwähnung thut, sind sie vermutlich in der Periode zwischen V.M. und Brahmagupta entstanden.
Über die etwa zwischen V.M. und Brahmagupta anzusetzenden Autoren vgl.
Einl. zur P. S. und SBD.
58 in. Religion, weltl.Wissensch.u. Kunst. 9. Astroxomie u.s.w., Mathematik.
§ S6. Dritte Periode. — Brahmagupta. — Der zunächst zu nennende Autor ist der schon öfters erwähnte Brahmagupta. Er nennt sich Sohn des Jisnu und verfasste nach seiner eigenen Angabe seinen Brahma Sphuta- Siddhänta im Jahre Saka 550, als er dreissig Jahre alt war, unter der Regierung des Königs Vyäghramukha von Bhillamäla (Bhlnmäl im süd- westhchen Märväd). Das Werk soll nach der Angabe späterer Commenta- toren auf einen Paitämaha-Siddhänta gegründet sein, welcher einen Teil des Visnudharmottara-Puräna bildet. Dieser uns erhaltene Paitämaha Siddhänta ist ein ganz kurzer in Prosa abgefasster Traktat, der allerdings die Haupt- züge des von Brahmagupta gelehrten Systems in conciser Weiser darstellt. Ob aber Brahmagupta wirklich aus diesem Werke schöpfte, erscheint sehr zweifelhaft; es macht mehr den Eindruck eines Auszugs aus dem Werke Brahmaguptas als den einer Quelle desselben. Mit dem von Varäha-Mihira dargestellten Paitämaha-Siddhänta hat BrGs. Werk nichts zu thun, auch nichts mit dem Brähma-Siddhänta, der auch Säkalya-Si. genannt wird. Der Sphuta- Siddhänta besteht aus 24 Adhyäyas und enthält 1008 Äryäs. Er behandelt im ganzen die in den uns schon bekannten Werken dargestellten Dinge in der gewöhnlichen Ordnung. Wichtig sind die Abschnitte, die mathe- matischen Dingen gewidmet sind, worüber später. Einzig in seiner Art ist das II. Kapitel, welches sich ausschhesslich mit der Kritik früherer Autoren befasst, darunter besonders des Aryabhata; es ist dies, wie schon erwähnt, eine unserer Hauptquellen für die frühere Periode der wissenschafdichen in- dischen Astronomie. Eine Neuerung gegen die uns schon bekannten Werke sind ferner die der Auflösung von astronomischen Problemen gewidmeten Kapitel. Das System Brahmaguptas unterscheidet sich nicht wesentlich von dem uns aus dem Sürya-Siddhänta bekannten. Es hat allerdings viele einzelne Eigentümlichkeiten;, in den meisten derselben schliesst sich Bhäskaräcärya in seinem Siddhänta-Siromani an Brahmagupta an. Hier mögen erwähnt werden der Umstand, dass BrG. die Berechnungen der mittleren Planetenörter etc. vom Anfang des Kalpa an macht, nicht vom Anfang des Yuga oder Kali}aiga, und ferner die auffällige Thatsache, dass er die Präcession der Aquinoctien ab- leugnet. Dass dies in Indien in einer verhältnismässig so vorgerückten Periode möglich war, wirft ein wenig günstiges Licht auf die Befähigung der indischen Astronomen zu Beobachtungen. Bhäskara hat sich in diesem Punkte nicht an BrG. angeschlossen. Mit der Nichtanerkennung der Präcession hat S. B. DIksit in scharfsinniger Weise die Thatsache in Verbindung gebracht, dass BrG. für die Länge des Jahres einen Wert angibt, der von dem des S. S. und anderer Werke einigermassen verschieden ist. Die numerischen Constanten des Systems weichen im allgemeinen mehr oder weniger von denen der früheren Werke ab. Die Gründe dieser Abweichungen sind im allgemeinen schwer zu er- kennen, sie sind möglicher oder wahrscheinlicher Weise auf Beobachtungen gegründet; BrG. macht aber keine Mitteilungen, die uns befähigten, dies irgendwie zu controlliren. In einigen Punkten sucht BrG. altindische Anschau- ungen, die von seinen unmittelbaren Vorgängern beiseite gesetzt worden waren, zu rehabilitiren und mit den neueren Lehren in Einklang zu setzen. Trotz einzelner Defekte wird der Brahma Sphuta-Siddhänta als das bedeutendste Werk der wissenschafthchen indischen Astronomie bezeichnet werden müssen; es könnte ihm diese Stelle überhaupt nur von Bhäskara streitig gemacht werden; der letztere ist aber von seinem Vorgänger in dem Grade abhängig, dass er nicht als ebenbürtiger Rivale betrachtet werden kann. Der ganze astronomische Stoff wird von BrG. ausführlicher und methodischer behandelt als von irgend einem seiner Vorgänger; BrG. gibt die erste ausführliche Dar- stellung des indischen mathematischen Wissens und zeichnet sich durch Eleganz
I. Astronomie. — Dritte Periode. 59
der Form aus. Seine Darstellung trägt dabei ein mehr individuelles Gepräge, als wir in indischen Werken anzutreffen gewohnt sind. — Der Br. Sph. Si. wurde commentirt von dem im 11. Jahrhundert lebenden Caturvedäcärya Prthüdakasvämin; bedeutende Teile wenigstens dieses wichtigen Commentars, der vielfach von Coleerooke benutzt wurde, sind erhalten.
Ein zweites von Brahmagupta herrührendes Werk ist ein Karana, welches den Namen Khandakhädyaka trägt. Als Ausgangspunkt seiner Rechnungen ist Saka 587 angesetzt. Dieses Werk ist eigentümlicherweise nicht auf das System des Sph. Si. basirt, sondern geht darauf aus — wie BrG. selbst am Anfange erklärt — Regeln zu geben, die in ihren Resultaten mit dem System des von Brahmagupta in seinem früheren Werke so vielfach bekämpften Äryabhata übereinstimmen. Dies System ist aber nicht das uns aus dem erhaltenen Werke Äryabhatas bekannte, vielmehr stimmen die von BrG. im Kh. Kh. an- gewandten Elemente mit denen des uns aus der P. S. bekannten ursprüng- lichen Sürya-Siddhänta überein — woraus sich, wie schon oben erwähnt, er- gibt, dass Äryabhata ein uns nicht erhaltenes Werk verfasst hatte, worin er sich genau an den alten S. S. anschloss. Das Kh. Kh. besteht aus zwei Teilen, in deren erstem, aus neun Abschnitten bestehendem, BrG. Regeln gibt, die sich genau an Äryabhata anschliessen, während er in dem zweiten fünf Ab- schnitte enthaltenden Verbesserungen angibt, die nach seiner Ansicht nötig sind, um die nach Ä. Bhs. Methode gewonnenen Resultate mit den Beobach- tungen in Einklang zu bringen. Zum Kh. Kh., das sich besonders in Kaschmir in Gebrauch erhalten zu haben scheint, existiren zahlreiche Commentare, da- runter einer von Bhattotpala, dem bekannten Commentator des Varäha-Mihira.
Über BrG. vgl. besonders SED. Vielfache Mitteilungen aus Brahmagupta und seinem Commentator finden sich in Colebrookes Essays. Das polemische Kapitel des Sphuta-Siddhänta wurde von A. Weber im Katalog der Berliner Sanskrit- Handschriften II, 293 ff. veröffentlicht, nach dem dortigen Manuscript. — Die mit dem Kh. Kh. verknüpften Fragen finden sich erörtert bei -SBD.
S 37. Dritte Periode. — Die Zeit zwischen Brahmagupta und Bhäskara. — Aus dem ziemlich langen Zeiträume zwischen Brahmagupta (7. Jahrhundert) und Bhäskara (12. Jahrhundert) sind uns verhältnismässig wenige astronomische Autoren bekannt. Lalla und der zweite Äryabhata, die wahrscheinlich hierher fallen, sind schon oben erwähnt worden. Weiter ist zu nennen Munjäla, der um Saka 854 ein kleines Laghumänasa genanntes Karanawerk verfasste, von welchem Handschriften erhalten sind. Pandit SuDHÄKAR DvivedT weist darauf hin, dass in diesem Werk eine zweite Glei- chung zur Berechnung der wahren Mondörter gelehrt wird; und S. B. DIksit bemerkt, dass Munjäla der erste Verfasser eines nicht als inspirirt geltenden Lehrbuches ist, der die Thatsache der Präcession unzweifelhaft anerkennt. Einige Citate aus Munjäla, die von späteren Autoren gemacht werden, finden sich nicht in deni erhaltenen Laghumänasa; vermutlich war er der Verfasser auch anderer Werke. S. B. DTksit identificirt, unzweifelhaft mit Recht, einen bei Alberünl genannten Punchala, der ein kleines Mänasa verfasste, mit unserem Munjäla; sein Werk soll nach Alberünl ein Auszug aus einem grossen von Manu verfassten Mänasa sein. — Weiter ist hier zu nennen Bhojaräja — auch als Verfasser eines Commentars zu den Yogasütren bekannt — •, welcher um Saka 964, ein Räjamrgähka genanntes Karanawerk verfasste; ferner Brahmadeva, der um Saka 1014 einen Karanaprakäsa schrieb; und Satänanda, von dem wir einen bekannten, Bhäsvati betitelten, Karana-grantha haben, der sich an den S. S. anschliesst und als Ausgangspunkt der Berechnungen Saka 1021 hat. Über Muiijäla siehe Ga. Ta. p. 19; SBD. _p. 313; Sachau, Alberuni's India II,
p. 307. — Über Bhojaräja s. Ga. Ta. p. 31; SED. p. 238. — Über Brahmadeva s.
Ga. Ta. p. 31; SED. p. 240. — Über Satänanda s. Ga. Ta. p. 33; SED. p. 243.
6o III. Religion, weltl.Wissensch.u. Kunst. 9. Astronomie u.s.w., Mathematik.
§^38. Dritte Periode. — Bhäskaräcärya. — Bhäskara ward im Jahre Saka 1036 geboren. Wir haben von ihm, von mathematischen Werken abgesehen, zwei astronomische Werke, den Siddhänta-Siromani und das Karana- Kutüliala. Das erstere Werk geniesst bis auf den heutigen Tag grösseres Ansehen in Indien als irgend ein anderes astronomisches Werk, mit Ausnahme des Sürya-Siddhänta, ein Ansehen, das insoweit wohlverdient ist, als der Si. Si. das gesamte astronomische Wissen der Inder vollständiger und vielleicht klarer darstellt als irgend ein anderes Werk. Grössere Klarheit hat er unstreitig insofern, als die im gewöhnlichen Äryä-Metrum, in der allge- meinen Weise, concis abgefassten Regeln von einem ausführlichen Commentar in Prosa begleitet sind, Väsanä-bhäsya genannt, den Bhäskara selbst verfasst hat, und der von jeder metrischen Regel eine ausführliche Erklärung und den Beweis gibt. Wesentlich Neues ist allerdings auch bei Bhäskara nicht zu finden. Im ganzen lehnt er sich durchaus an Brahmaguptas Sphuta-Siddhänta an, welchem er vornehmlich alle numerischen Constanten, die Zahl der Um- läufe der Planeten im Kalpa, die Grade des Umfangs der Epicyklen etc. etc. entnimmt. Die Verbesserungen für die mittleren Örter der Planeten sind dem in S 37 genannten Räjamrgähka entlehnt; von eigenen Beobachtungen ist bei Bhäskara nichts zu finden. Einzelne neue Regeln und Methoden zielen darauf hin, die Resultate gewisser Berechnungen genauer zu machen, sind aber nicht von eingreifender Bedeutung. Die übersichtliche und elegante Behandlung des Stoffes ist jedenfalls das Hauptverdienst des Werkes. — Der Si. Si. zerfällt in einen Graha-Ganitädhyäya und einen Golädhyäya, welch letzterer — wie in allen ^^'erken gleicher Einteilung des Stoffes — die Richtigkeit der im Ganitädhyäya gegebenen Berechnungsregeln an der astronomischen Sphäre demonstrirt. Der Golädhyäya enthält ferner einen Prasna-Abschnitt — nach dem Vorbild Brahmaguptas — , in welchem schwierige astronomisch-mathema- tische Probleme gestellt und gelöst werden, einen Abschnitt über astronomische Instrumente {ya?tträd/iyäya) , einen Abschnitt über die Berechnung der trigo- nometrischen Sinus ijyotpatti) und als poetische Beigabe eine Beschreibung der Jahreszeiten [rtuvarnana). — Das Werk enthält verhältnismässig wenige Beziehungen auf frühere Autoren; am häufigsten wird Lalla genannt, gegen den — wie oben bemerkt — Bhäskara durchgängig polemisirt. Der Si. Si. wurde im Jalire Saka 1072 abgefasst, das Karana-Kutühala 1105. Zu dem Sid- dhänta existiren eine Anzahl von Commentaren, unter denen die sog. MarTci des MunTsvara hervorzuheben ist.
Über Bhäskara im allgemeinen s. SED. 246 ff.; Ga. Ta. 34ff. ; B.\PU Deva Sästrin, A brief Account of Bhäskara (JASB. 1893); Commentare zum Si. Si., SBD. 252; Ga. Ta. 37. — Die besten Ausgaben des Si. .Si. sind die von L. Wilkin- SON, Calc. 1S42; und die von Bäpü Deva Sästrin, Benares 1S66. — Der Golädhyäya wurde ins Englische übersetzt von L. W1LK.INSOX und Bäpu Deva Sästrln, Calc. 1861 — 62. — Das Karanakutühala ist herausgegeben von Sudhäkar Dvivedi, mit einem Commentar von demselben, Benares 1881.
S 39. Muhammedanische Einflüsse. — Mahendrasüri, Maka- randa, Jnänaräja, Ganesa. — Bhäskaras Siddhänta-Siromani ist das letzte W^erk in grossem Stil, das völlig auf den traditionellen astronomischen Lehren beruht. Die bedeutende Thätigkeit auf astronomischem Gebiete, die sich von Bhs. Zeit bis auf die Gegenwart erstreckt, erhält einen neuen Zug dadurch, dass infolge der Eroberung eines Teiles Indiens durch die Muhammedaner die persisch-arabische Astronomie in Indien mehr oder weniger bekannt wurde und einige der späteren Werke beeinflusste. Im ganzen aber ist dadurch die indische Astronomie nicht wesentlich gefördert worden. Die traditionellen Lehren erhielten sich als die herrschenden bis auf die neueste Zeit, und die- jenigen Werke, die sich von persisch-arabischem Wissen das meiste aneigneten,
I. Astronomie. — Dritte Periode. 6i
sind nicht im Stande gewesen, die altverehrten Bücher zu verdrängen. Eine bedeutende Anzahl von in dieser Periode verfassten Handbüchern zur Er- leichterung von astronomischen Rechnungen begnügt sich völlig damit, die traditionellen indischen Kenntnisse zu verwerten. Wir können hier aus der ganzen Litteratur der Periode nur einige aus irgend einem Grunde wichtigere Leistungen hervorheben. Wir erwähnen zunächst ein Werk, welches inter- essant ist als das erste, das auf dem Einfluss arabisch-persischer Astronomie zu beruhen scheint. Im Jahr Saka 1292 verfasste Mahendrasüri, Hof-Pandit des Firoz Shäh Tughlak, ein »Yantraräja« benanntes Werk, welches auseinander- setzt, wie alle Kreise der astronomischen Sphäre von einem der Pole des Äquators aus auf die Fläche des Äquators zu projiciren sind, eine durchaus ausserhalb des Gesichtskreises und der Fähigkeit der traditionellen indischen Astronomie liegende Aufgabe. Aus welchen Quellen der Verfasser seine Be- lehrung zog, ist nicht bekannt. Ein Commentar zu dem Werke wurde von Malayendusüri, einem Schüler des Verfassers, geschrieben. Text, und Com- mentar wurden von Pandit Sudhäkar DvivedT und SrT-Lattara-Sarma, mit einem weiteren von dem ersteren verfassten Commentare herausgegeben, Benares 1883.
Ga. Ta. 48.
Im Jahr Saka 1400 verfasste Makaranda in Benares ein zur leichten Be- rechnung des Pancähga bestimmtes, aus Tafeln bestehendes Werk, das unter seinem Namen geht. Dasselbe schliesst sich durchaus an den S. S. an. Es erfreut sich noch heute einer grossen Beliebtheit und wird im nördlichen Indien allgemein von Astronomen und Astrologen benutzt, zusammen mit seinen Commentaren, einem von Diväkara Daivajna verfassten Vivarana und dem Udäharana des Visvanätha. Text und Commentare sind in verschie- dentlichen lithographirten Ausgaben erschienen. Diejenigen Tafeln Makarandas, die zur Berechnung der wahren Orter von Sonne, Mond und Planeten dienen, sind (ohne Angabe der Quelle) von Bentley veröffentlicht im Appendix seines »Historical View of the Hindu Astronomy« (p. 173 ff). Die Tafeln zur Be- rechnung der wahren Orter und Bewegungen von Sonne und Mond wurden auch von S. Davis gegeben in seinem Aufsatz »On the astronomical Com- putations of the Hindus« (As. Res. Vol. IIj. Die solare Tafel findet sich ebenfalls (entlehnt von Davis) bei Warren, Kälasamkalita, Astronomical Tables p. 29. — Im Jahre Saka 1425 verfasste Jnänaräja, der Sohn Näganäthas, einen auf der Lehre des S. S. basirenden Siddhänta, welcher aus einem Golädhyäya und einem Ganitädhyäya besteht, mit den gewöhnlichen Unterabteilungen. Der Autor polemisirt gelegentlich gegen Bhäskara und sucht Anschauungen der Puräiias zu rehabilitiren. Das Werk wurde commentirt von Cintämani, dem Sohne des Verfassers.
SED. 267 — 71; Ga. Ta. 55—58.
Ganesa, der Sohn des, selbst als astronomischen Schriftstellers bekannten Kesava, verfasste im Jahre Saka 1442 ein Karanawerk, Grahaläghava genannt, zur leichten Vollziehung der gewöhnlichen astronomischen Berechnungen. Dies Handbuch, das seine Elemente aus den verschiedenen älteren Siddhäntas auswählt, ist bis auf die heutige Zeit in allgemeinem Gebrauche geblieben, und man mag deshalb nach den aus seinen Regeln folgenden Resultaten be- urteilen, wie weit es die indische Astronomie in der Genauigkeit der Berech- nung gebracht hat. Bei SBD. findet sich (p. 262) eine Vergleichung der sich aus dem Grahaläghava ergebenden mittleren Längen der Himmelskörper zu Anfang des Saka-Jahres 1442 mit den nach modernen Methoden berech- neten, und (p. 414 ff) eine allgemeine Vergleichung der Elemente des Hindu- Kalenders für die jetzige Zeit, wie sie aus den beiden genannten Autoritäten
62 III. Religion, weltl.Wissensch.u. Kunst. 9. Astronomie u.s.w., Mathematik.
folgen. Das Grahaläghava hat es jedenfalls verstanden, die nach indischen Methoden auszuführenden Rechnungsprocesse in durchaus praktischer Weise zu vereinfachen, ohne dabei der Genauigkeit zu nahe zu treten; und seine Auswahl der astronomischen Elemente aus verschiedenen Autoritäten beruht offenbar auf einer sorgsamen Vergleichung der Resultate der verschiedenen Regeln mit der Beobachtung. Das Werk ist verschiedene Male veröffentlicht worden. Die Commentare sind bei SBD. angegeben, ebenda und in der Ga. Ta. die anderen, weniger bedeutenden, Werke Ganesas. SBD. 259—67; Ga. Ta. 58—63.
§ 40.^ Nityänanda, Munisvara, Kamaläkara. — Das von Nityänanda im Jahre Saka 1561 verfasste, Siddhäntaräj betitelte, Werk zeigt die in indischen Werken auffallende Eigentümlichkeit, dass es nicht auf die siderischen son- dern durchaus auf die tropischen Umläufe der Himmelskörper Bezug nimmt. Es beruft sich dafür auf den Romaka, worunter aber, wie es scheint, nicht der alte Romaka zu verstehen ist (der freihch auch, wie wir wissen, eine tropische Sphäre hatte), sondern im allgemeinen westliche Autoritäten. SUD. 189; Ga. Ta. 101.
Im Jahre Saka 1568 verfasste Mumsvara, der Sohn Rahganäthas, des Com- mentators des S. S., einen, Siddhänta-särvabhauma genannten, astronomischen Siddhänta und einige Jahre später einen Commentar dazu. Munisvara folgte der Autorität Bhäskaras und wurde dadurch in eine heftige litterarische Fehde mit Kamaläkara, dem Verfasser des Siddhäntatattvaviveka , verwickelt. Wir haben ausserdern von ihm, wie schon erwähnt, den besten der Commentare zum Siddhänta-Siromani, die sog. MaricT, ein Werk von sehr bedeutendem Umfang.
SBD. 286; Ga. Ta. 91—94.
Der oben erwähnte Siddliäntatattv^aviveka des Kamaläkara darf wohl als das letzte bedeutende Werk der eigentlich indischen Astronomie betrachtet werden, insofern nämlich, als sein Verfasser — obschon mit der persisch- arabischen Astronomie vertraut und aus derselben vielfach, besonders ^lathe- matisches, entlehnend — es sich zur Aufgabe macht, ein astronomisches System zu entwickeln, das wesentlich auf der Lehre des Sürya-Siddhänta be- ruht, wobei er beständig gegen die Ansichten Bhäskaras polemisirt. Das im Jahre Saka 1580 verfasste Werk von bedeutendem Umfange besteht aus 13 Kapiteln, welche die Astronomie in der herkömmlichen Einteilung abhandeln, und ent- hält viele interessante Einzelheiten, könnte aber nur mit genauer Bezugnahme auf die arabisch-persische Astronomie gewürdigt werden. Eine bei SBD. aus- gezogene Liste von den Breiten verschiedener Localitäten enthält auch Samarkand.
Der Siddhäntatattvaviveka ist herausgegeben von Pandit Sudhäkar Dvivedi in der Benares Sanskrit Series. — Vgl. SBD. 287; Ga. Ta.'gS.
§^41. Übersetzungen auf Befehl Jayasirnhas von Jaypur. — Im Jahre Saka 1574 übersetzte Jagannätha, der Hof-Pandit des Jayasimha, des Mahä- räja von Jaypur, ein arabisches, Mijästi betiteltes, astronomisches Werk in das Sanskrit, unter dem Titel Siddhänta-Samräj. Ob das arabische Werk selbst eine Übersetzung oder Bearbeitung des grossen Werkes des Ptolemäus ist — wie man aus dem Namen vermuten könnte — , bin ich nicht in der Lage zu bestimmen, auch nicht mit welcher Genauigkeit sich der Siddhänta-Samräj an seine Vorlage hält. Teile des Werkes wenigstens sind erhalten. Von dem- selben Jagannätha existirt eine Übersetzung des arabischen Textes von Euclids Elementen, von J. als Rekhäganita bezeichnet, welche in verschiedenen Exem- plaren erhalten ist. Jayasimha war ein eifriger Förderer der Astronomie und
I. Astronomie. — Dritte Periode. 63
Hess in verschiedenen Städten Nordindiens, darunter Jaj'pur, Delhi und Benares, astronomische Observatorien errichten, mit vielen in kolossalem Massstabe aus- geführten Vorrichtungen zur Bestimmung der geographischen Breite u. dgl., welche zum Teil bis auf die heutige Zeit wohl erhalten sind; die meisten der- selben sind unzweifelhaft denen, welche die arabisch-persischen Astronomen anwendeten, nachgebildet; einige sollen von Jayasimha selbst erfunden sein. .SED, 292 fl'.; Ga. Ta. 102 ff.
S 42. Schlussbemerkungen. — Aus der Zeit nach Jayasirnha sind keine indischen astronomischen Werke von Bedeutung zu erwähnen. Die grosse Überlegenheit der persisch -arabischen Astronomie^ die, wie wir sahen, hie und da bestimmt genug anerkannt wurde und in Sanskrit- Werken Ausdruck fand, hat doch schliesslich nicht dazu geführt, dass die altindischen Werke ihre Autorität verloren; die Berechnungen für den Kalen- der, die Bedürfnisse der Astrologen ^u. dgl., wurden nach wie vor nach den Methoden des S.S., des Siddhänta-Siromani und der auf diesen Texten be- ruhenden Handbücher gemacht. Wäre die arabisch-persische Astronomie die einzige geblieben, die auf die indische Wissenschaft ihren- Einfluss ausübte, so hätte sie vielleicht letztere nach und nach mehr umgestaltet. Thatsächlich aber erschien ja seit Ende des vorigen Jahrhunderts ein neuer mächtigerer Rivale auf der Bühne, die europäische Wissenschaft, die infolge der englischen Herrschaft langsam aber stetig auf die indischen Ansichten von der Beschaffen- heit des Weltgebäudes und der astronomischen Methoden einzuwirken begann. Es -wird zwar noch lange dauern, ehe das Ansehen der alten Litteratur ganz aufhören wird, praktische Folgen zu haben; die alten Werke werden noch überall in Indien von den professionellen Jyotisis studirt, auch von solchen, denen die Überlegenheit europäischer Methoden nicht unbekannt ist; und Rechnungen besonders astrologischer Natur werden noch vielfach ganz nach den alten Lehrbüchern ausgeführt. Die alte Form des Kalenders mit ihren Tithis u. dgl., welche fest mit den religiösen Gebräuchen und festlichen Ob- servanzen der Hindus verwachsen ist, erhält sich ebenfalls. Freilich werden nun aber fast allgemein die Kalender auf Grund der genaueren europäischen Einsicht in die wahren Bewegungen der Himmelskörper berechnet; und die i^säjanaK-FoTm des Kalenders, der das tropische Jahr zu Grunde liegt, be- ginnt vielfach an die Stelle der »nirajanan oder siderischen Form zu treten, infolge deren im Laufe der Jahrhunderte der Jahresanfang sich mehr und mehr vom Frühlingsäquinoctium entfernt hatte. An eine eigentliche Weiter- bildung der theoretischen Astronomie auf Grundlage der alten indischen Litteratur ist natürlich nicht zu denken, dazu ist die Kluft z\\äschen letzterer und der europäischen Wissenschaft zu ungeheuer. Die Beschäftigung mit der alten Astronomie wird für wohlunterrichtete Hindus in der Zukunft ein Studium von nur historischem Interesse sein; als solches freilich hat es viele anziehende Seiten und bietet noch manches Problem dar, das zum Nachdenken und Weiterforschen anregt. Nur ist zu wünschen, dass solche Studien in wahrhaft historischem Geiste betrieben werden mögen, und dass nicht, wie sich vielfach hierzu im heutigen Indien eine gewisse Tendenz zeigt, die Erwägungen und Schlüsse mehr von patriotischen Gefühlen geleitet werden als von dem vor- urteilslosen Streben nach Wahrheit.
64 ni. Religion, weltl.Wissensch. u. Kunst. 9. Astronomie u.s.w., Mathematik.
ZWEITES KAPITEL. ASTROLOGIE.
§ 43. Einleitendes. — Zweige der Astrologie. — Wir haben schon mehrfach auf die nahen Beziehungen hingewiesen, in welchen die Astronomie in Indien zu allen Zeiten zur Astrologie gestanden hat. Es wäre zwar zu weit gegangen, wenn man behaupten wollte, dass die Astronomie in Indien überhaupt nur als eine Hilfswissenschaft der Astrologie anzusehen sei; denn einerseits war es ja unzweifelhaft in Indien wie anderswo das ganz prak- tische Bedürfnis eines geordneten Kalenders, das ursprünglich zu astronomi- schem Nachdenken anregte , und andrerseits haben wir schon oben darauf hingewiesen, dass wenigstens die bedeutenderen Astronomen sich aus der Sphäre praktischer Erfordernisse irgend welcher Art in die eines vorwiegend theoretischen Interesses an ihrer Wissenschaft erhoben haben. So viel ist freilich zuzugeben, dass die überwiegende Majorität derer, die sich in Indien dem Studium astronomischer Dinge widmeten, zu allen Zeiten von praktischen Erwägungen geleitet wurden — worunter wir auch den Wunsch begreifen, aus den Stellungen und Aspekten "der Himmelskörper zukünftige Ereignisse zu erschliessen — und dass die letztere Rücksicht jedenfalls sehr viel dazu beigetragen hat, das Interesse an den Planetenbewegungen, die für den bürger- lichen wie religiösen Kalender wenig in Frage kamen, wach zu erhalten.
Das Aufmerken auf »Omina« und »Portenta« mannigfaltiger Art ist in Indien wie in anderen Ländern ein altes Element des Volksaberglaubens; einzelne Spuren davon finden sich in der Rk-Samhitä und zahlreiche in der Atharva-Samhitä. Weiteres hierauf Bezügliches findet sich in der Brähmana- und Sütra-Litteratur, wofür wir besonders auf die von A. Weber edirten und übersetzten Stücke (Zwei vedische Texte über Omina und Portenta, 1859) verweisen. Ungemein zahlreiche Hinweise auf den Glauben an Vorzeichen aller Art begegnen uns weiterhin in der alten epischen und ebenso in der alten buddhistischen Litteratur; die letztere besonders bezeugt, dass es schon sehr frühe in Indien Leute gab, die sich mit der Beobachtung und Auslegung von Vorzeichen professionell beschäftigten.
Zum Behuf einer allgemeinen Orientirung über das schliesslich in ver- schiedenen Zweigen entwickelte astrologische Wissen der Inder halten wir uns zu- nächst an die Aussagen des uns schon als Astronomen bekannten Varäha-Mihira, von dem ebenfalls die am meisten bekannten Werke über Astrologie herrühren. V. M. lehrt in seiner Brhat-Samhitä, dass das Jyotih-Sästra aus drei Zweigen bestehe, nämlich dem Tantra genannten (d. h. dem rechnenden Teil, welcher unserer Astronomie entspricht, von den Indern in der Regel als Ganita be- zeichnet), dem Horä genannten Zweig, welcher sich mit der Ermittelung des Horoskops beschäftigt, und einem dritten Teil, der von V. M. an dieser Stelle nicht näher bezeichnet, aber an anderen Stellen von ihm sowohl als weiteren Autoritäten Säk/iä genannt mrd. Die drei Zweige zusammen machen nach V. M. eine sogen. Samhitä aus. Bei V. M. selbst aber sowie bei anderen Schriftstellern wird der letztere Terminus in der Regel nicht zur Bezeichnung des ganzen Sästra verwendet, ^sondern ist der Name für den dritten, oben Säkhä genannten Teil, welcher weder von rechnender Astronomie noch von